Wie möchten wir im Jahr 2040 leben? Wer ist mit diesem »wir«, das da angesprochen wird, überhaupt gemeint und was wollen »wir«?
Inwieweit wird uns KI helfen? Wird sie uns ersetzen? Und wie kann es gelingen, sie sprachlich zu imitieren?
Sehr unterschiedliche Fragen sind es, die Anna Baar und ihr Projektpartner, der slowenische Autor Aleš Šteger, in ihren formal ebenfalls sehr unterschiedlichen Beiträgen, der Kurzgeschichte »Gut genug« und dem Dialog »Im Kaffeehaus«, ergründen. Dies ist gewollt, denn:
»Je mehr wir uns austauschen, desto mehr einigt man sich vielleicht auf etwas – und diese Einigung wollte ich persönlich gar nicht. Es war mir ganz wichtig, dass Aleš da sein Eigenes tut und ich auch.«
Anna Baar
Literatur als Rebellion
»Ich finde immer, dass man bei solchen Ausschreibungen herausgefordert wird und dass man immer auch versucht zu rebellieren – wenigstens ich tue es – und auch dagegen zu schreiben – gegen die Denkstruktur, die natürlich bei jeder Ausschreibung nicht fehlen soll und da sein muss, um einen einheitlichen Nenner zu geben. Aber zugleich fühlt man sich eigentlich schon herausgefordert.«
Aleš Šteger
Aus Rebellion entstehe, wie Aleš Šteger in unserem Gespräch erzählt, immer eine bestimmte Sprachbewegung. Diese, und nicht das spezifische Thema der Ausschreibung, sei für ihn das eigentlich Interessante. In diesem Fall komme aber hinzu, dass es Anna Baar gewesen sei, die ihn zu dem Projekt eingeladen habe:
»Themen können wechseln, die Geste aber nicht. Ich glaube, es geht hier wirklich um diese Geste und bei dieser Geste war schon auch ausschlaggebend, dass Anna mich veranlasst hat, darüber nachzudenken.«
Aleš Šteger
Auch bei Anna Baar war weniger das Thema selbst, mit dem sie sich zuvor noch nie beschäftigt habe, das Ausschlaggebende, sondern der Ruf: der Hinweis, mitmachen zu können und die sich bietende »Möglichkeit, sich an einem Thema, das einem zunächst suspekt erscheinen mag, zu reiben, sich daran zu versuchen.«
Unterschiedlich, aber einig
Nicht nur sind sich die beiden Autor*innen in ihrer grundsätzlichen Haltung gegenüber der Ausschreibung einig, auch haben die beiden im Rahmen des Projekts entstandenen Texte bei allen Unterschieden überraschend viele Gemeinsamkeiten.
In ihrem Prosatext »Gut genug« setzt Anna Baar dem »wir« der Fragestellung der Ausschreibung ein erfundenes »ich« entgegen. Sie lässt ihren Protagonisten aus dem Jahr 2040 auf die heutige Gegenwart zurückblicken und geht aus dieser zeitlichen Distanz der Frage nach, wie nicht die ideale, sondern die bestmögliche aller Welten aussehen könnte. Dabei sind in die Story auch Versatzstücke des Essays eingeflochten, denn Anna Baars Protagonist hat damals, im Jahr 2024, einen Text für eine Literaturausschreibung über seine Vorstellungen für die Zukunft verfasst, welchen er – wie es heißt, aufgrund der zweifelhaften Qualität – nie abgeschickt hat.
Berührt Anna Baars Text die Fragestellungen der Ausschreibung also auch auf einer Metaebene, so wird diese ebenso von Aleš Šteger in seinem Dialog »Im Kaffeehaus« thematisiert – denn u.a. über die genannte Ausschreibung unterhält sich ein Autor mit seinem Gegenüber. Am Ende des Gesprächs, in welchem die Erfahrungen des Schriftstellers mit Künstlicher Intelligenz und seine Befürchtungen und Hoffnungen für die Zukunft reflektiert werden, stellt sich der Dialogpartner selbst als KI heraus. Der Einsatz unterschiedlicher Erzähler in verschiedenen Sprachformen bildet somit eine weitere Gemeinsamkeit mit Anna Baars Text. Darüber hinaus handelt es sich bei der Auflösung von Aleš Štegers Text auch um einen Twist, der ihn vor die faszinierende sprachliche Frage gestellt habe, wie es gelingen kann, die sprachliche Differenz zwischen einem Menschen und einer KI zu kreieren.
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Anna Baar © Johannes Puch -
Aleš Šteger © Mankica Kranjec