London, Solothurn, Achenkirch, Zürich, Bern – Mai 2024
Neben mir im Zug von Zürich nach Innsbruck sitzen zwei amerikanische Touristen die komplett ihr fucking mind verlieren über die Tatsache, dass der Zug im Kopfbahnhof Buchs die Fahrtrichtung gewechselt hat, wodurch sie Panik bekommen haben, dass sie aus Versehen wieder zurück in die Schweiz fahren. Ich versuche zu erklären, was ein Kopfbahnhof ist, aber es scheint sie nur noch panischer zu machen. Man könnte sagen, sie verstehen nur Bahnhof, aber gerade das scheint ja das Verständnisproblem zu sein. Zwei Tage vorher war ich noch der Panische als ich nicht verstand, dass man die Londoner Metro-Station »Bank« einfach durch einen Tunnel direkt von der Metrostation »Monument« aus erreichen kann ohne je die Station zu verlassen. Dann fuhren auch noch die Metros in beide Richtungen vom gleichen Gleis ab. Ich kann also durchaus nachvollziehen, bei der kleinsten Unebenheit im Reiseverlauf komplett die Nerven wegzuschmeißen. Aber so schlimm wars ja eigentlich gar nicht. So schlimm wie Reisen eben ist, wenn man knapp eine Woche vor Abflug seine Geldtasche mit sämtlichen wichtigen Karten verloren hat. Also die letzten paar Pfund zusammengekratzt, die noch in einer Metalldose unterm Bett lagern und ab zum österreichischen Kulturforum nach London. South Kensington anscheinend. Eine Gegend, die wie ein Botschaftsviertel aussieht, aber wie mir versichert wird, hauptsächlich einfach von irgendwelchen reichen Weirdos bewohnt wird, die einen argwöhnisch beäugen, wenn man spazieren geht. Das Kulturforum selbstverständlich ausgenommen, nur liebe Leute da, keine Weirdos. Ich der einzige Weirdo, nachts am Bösendorfer Flügel spielend, verstaubt sonst ja nur. Dann Literaturpreis mit Germanistikstudierenden aus Irland, England und Schottland. Mussten ein Pubquiz über mich und mein neues Buch bestehen. Nicht mal ich hätte alle Antworten gewusst. Ließ mich an meiner Autorität über mich selbst zweifeln. Wenn ich nicht mehr die beste Quelle für Facts über mich selbst bin, was dann? Dann wurde den Studierenden ein Song der Mostviertler Dialekt-Punk-Band Franz Fuexe vorgespielt. Können sie drei Wörter raushören? Ich jedenfalls nicht. Ließ mich an meiner Autorität über Identität als Österreicher zweifeln. Vielleicht bin ich gar kein Österreicher. Vielleicht bin ich Brite. Selbstversuch: Auf der Straße ist ein Spendensammler für den WWF irritiert über meinen Unwillen mit ihm zu reden. Ich beobachte ihn länger, stelle fest, dass die meisten Leute tatsächlich stehen bleiben, nett mit ihm plaudern. Gewissheit: Bin sicher kein Brite. Übersetzerin Ruth Martin lässt das Publikum bei der Lesung rätseln, welcher Satz von KI und welcher von ihr übersetzt wurde. Fast alle erraten es. Fasse wieder Hoffnung in die Menschheit. Mir werden 5 Museen empfohlen und wo man die beste Bootstour über die Themse machen kann ich sage, ich schaue mir sicher alle 5 Museen an und mache die Bootstour über die Themse zwei Tage später ich habe mir kein Museum angeschaut und keine Bootstour über die Themse gemacht. Dafür ein paar Gräber gesehen, ein paar Parks gesehen, ein paar Hunde gesehen, ein paar Bücher gelesen, ein paar Schritte in Regen und Sonne auf einmal getätigt. Ich bin ein schlechter Tourist und das gerne. Zack Flughafen ab nach Solothurn. Literaturtage. Drei Auftritte an einem Tag, halfway through bekomme ich ein Durchhaltesäckchen von den Veranstaltern zusammen mit meiner Schweizer Lieblingsschokolade, von der ich gerade schon wieder den Namen vergessen hab diese Röllchen mit Füllung drin und Füllung außen also Glasur. Glasur ist nur auf links gedrehte Füllung. Am Eröffnungstag verpasse ich einen ganzen Skandal, weil ich nicht Französisch spreche. Dann noch einen weiteren, weil ich kein Rätoromanisch kann. Schaue am nächsten Vormittag zur Lesung von Sayaka Murata, halb auf Japanisch, halb auf Deutsch, dann Lesung, dann Talk über KI, dann wieder Lesung, kurz mit Laura Leupi reden, kurz mit Pedro Lenz reden, kurz mit Gianna Molinari, Stefan Kaegi, Salomé Meier und Patrick Karpiczenko reden, dann kurz mit niemandem reden, dann kurz Konzert von La Gale auf Französisch, wache nachts auf und spreche verwirrt Cockney-Dialekt, dann Walliser, dann Esperanto, schlafe wieder ein, träume von Glasur und Füllungen. Wache auf, informiere mich über die neuesten Eurovision-Entwicklungen, schlafe wieder ein, verpasse meinen Wecker. Zack Zug nach Innsbruck, also eigentlich Jenbach, also eigentlich Achenkirch, aber da fährt kein Zug hin. Werde mit dem Auto abgeholt. Lasse die amerikanischen Touristen mit ihrer Panik allein. Die Armen, werden wahrscheinlich in Budapest aufwachen und sich fragen, was sie in Bratislava machen. Wache im Hotel auf. Es ist das verwinkeltste Hotel das ich jemals gesehen habe. Verirre mich mehrmals auf dem Weg zur Lobby. Dann verirre ich mich mehrmals auf dem Weg zum Mittagessen. Dann verirre ich mich mehrmals auf dem Weg zur Lesung. Lesung ist gut. Dann verirre ich mich mehrmals auf dem Weg zurück zum Zimmer. Überall Preise die das Hotel gewonnen hat. Spa des Jahres. Umwelt-Preis. Hotelpreis der Region. Verirre mich auf dem Weg in den Schlaf. Wache im Zug zurück nach Zürich wieder auf. Besuche meine Cousine. Habe sie und ihre Kinder schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Einer ist auf einmal erwachsen geworden. Der andere jugendlich. Höre viel Jugendsprache auf Schweizerdeutsch. Sie versuchen mir den Begriff »Kochen« beizubringen. Wenn jemand was cooles macht ist er »am Kochen«. Dann muss ich plötzlich das scharfe ß verteidigen. Es sei völlig unnötig erzählt man mir. Ich verweise darauf, dass das scharfe ß einen sehr klar umrissenen phonetischen Klang definiert. Den Unterschied zwischen Strase, Strasse und Straße eben. Ein ganzes Land, das ohne diese Unterscheid auskommt. Ich kann es nicht nachvollziehen. Nächster Tag unterwegs nach Bern. Am Bahnhof finde ich endlich die Schokoriegel wieder. Munz heißen die geilen Dinger. Ich kaufe mit meinem letzten Bargeld locker zwanzig davon und werde davon nie wieder financially recovern. Abends Lesung mit Toxische Pommes in der Buchhandlung Stauffacher, geführt von einer sehr netten Carola. Wir lesen vor 100 Menschen, 99 davon Fans von Toxische Pommes, der 100ste Michael, lieb, dass er gekommen ist. Drehen vorher den ganzen Tag über Instagram-Videos für den Hanser-Account weil wir den für einen Tag übernommen haben. Geben uns einigermaßen Mühe. Sind am Kochen, wie man sagt. Um 22:30 Uhr gibt es dann plötzlich köstliches Essen von Carola. Hummus, Suppe, Strietzel, Linzer Torte. Warum ist Linzer Torte so beliebt in der Schweiz? Überall wo man hinsieht Linzer Torte. Die Schweizer lieben Linzer Torte. Sie sind regelrecht süchtig danach. Kann ich nicht verstehen, denke ich und schiebe den vierzigsten Munz-Riegel rein. Ausgezeichnet. Schlafe am Tisch ein. Wache beim Frühstück auf. Müsli. Kaffee. Noch ein Kaffee. Gute Tour.
Auf Einladung des dortigen Kulturforums, war Elias Hirschl im Zuge seiner Lesereise auch in London zu Gast.