Von 14. bis 19. Oktober war die in Wien lebende slowenische Schriftstellerin und Bachmann-Preisträgerin Ana Marwan für drei Lesungen und einen Workshop zu Gast am Kulturforum in Kairo. Anlass dieser Lesereise war der 100. Todestag von Franz Kafka, einem der bedeutendsten Literaten des 20. Jahrhunderts, dem auch im Rahmen der österreichischen Auslandskulturarbeit gedacht wurde. Ana Marwan hat sich nicht nur während ihrer Studienzeit intensiv mit Kafkas Werken auseinandergesetzt, sondern veröffentlichte 2023 ihren neuesten, mit dem slowenischen Literaturpreis ausgezeichneten Roman »Verpuppt«, der kafkaeske Züge aufweist und stark von Themen wie der Verwandlung sowie der komplexen Beziehung zwischen Individuum und staatlichen Institutionen inspiriert ist.
Zum Auftakt der gut besuchten Eventreihe las Marwan Passagen aus »Verpuppt« und ihrem Text »Wechselkröte« (Bachmannpreis 2022) an der Deutsch-Fakultät der BADR-Universität, gefolgt von Lesungen an der MUST-Universität und der Deutschen Evangelischen Oberschule (DEO). In »Verpuppt«, auch als Coming-of-Age-Roman klassifiziert, erzählt Marwan die Geschichte der Protagonistin Rita, die durch das Schreiben versucht, sich aus einer Welt der Bürokratie und Kontrolle zu befreien. In mehreren Erzählsträngen eröffnet sich Ritas Welt, wobei es nicht immer klar ist, was Realität und was Fiktion ist und ob sich Rita in einem Ministerium oder einer psychiatrischen Anstalt befindet.
Marwans Buch fand bei den jungen Erwachsenen, überwiegend weiblichen Zuhörer:innen, großen Anklang. In den lebhaften und offenen Diskussionen im Anschluss an die Lesungen berichteten viele, dass sie sich mit den Themen des Erwachsenwerdens im Buch identifizieren konnten. Auch das zentrale Thema der Einsamkeit, das im Roman subtil behandelt wird, regte zum Austausch über unterschiedliche persönliche Erfahrungen an. Zudem wurde Marwan nach ihrer Schreibinspiration, ihren Gefühlen während des Schreibens und dem autobiografischen Anteil ihres Buches befragt. Sie antwortete nicht nur äußerst sympathisch, sondern zeigte sich sichtlich erfreut über die zahlreichen klugen Fragen. Hin und wieder gab sie auch Fragen zurück – etwa, ob die jungen Zuhörer:innen ihr eigenes Erwachsenwerden ähnlich erlebt hätten.
Ihren Abschluss fand Marwans Kairo-Aufenthalt mit einem Schreibworkshop zu Kafka im Rahmen des D-CAF, dem Downtown Contemporary Arts Festival, das heuer zum 12. Mal von 17. Oktober bis 10. November stattfand. Im ausgebuchten Workshop, an dem überwiegend junge Literatur-Interessierte und Schriftsteller:innen teilnahmen, setzte sich Marwan spielerisch mit charakteristischen Merkmalen von Kafkas Werken auseinander. Im Mittelpunkt standen »Die Verwandlung« und die Erzählung »Vor dem Gesetz« (1915), deren Interpretationsmöglichkeiten – von akademischen bis hin zu persönlichen Perspektiven – diskutiert wurden. Mit praktischen und interaktiven Schreibübungen, etwa durch das Erkennen frei imaginierter Passagen aus unterschiedlichen Texten oder das Kreieren von Titeln für potenzielle Kafka-Bücher, gelang es Marwan, die Teilnehmer:innen nicht nur für Kafka zu begeistern, sondern auch mit Spaß und Kreativität bei der Sache zu halten. Der Workshop bildete einen gelungenen Abschluss von Marwans einwöchigem Aufenthalt in Kairo.