Spannung und Vorfreude erfüllen mich, als ich zu einer einwöchigen und zweisprachigen Lese-Reise (deutsch und französisch) durch Rumänien aufbreche. Der Hinflug geht von Wien nach einer Stadt, deren Namen mir bisher kaum mit Bewußtsein untergekommen ist, der anders ausgesprochen als geschrieben wird und von der ich nicht im geringsten ahnen konnte, welche Überraschungen sie für mich bereit hielt: Iași. Nach knapp einer Stunde Flug landet die Austrian-Maschine auf dem kleinen Flughafen dieser Stadt ganz im Osten des Landes nahe der moldawischen Grenze.
Der allererste Eindruck schon ist überwältigend: breite Boulevards wie in einer Weltstadt, auf der die Straßenbahnen, die nur aus einem Triebwagen bestehen, in rasantem Tempo über die Schienen rattern, als müßten sie eine irgendwo verlorene Zeit einfangen. Jede Menge prunkvolle historische Gebäude, freundliches und für die Jahreszeit mildes Wetter und viele, vor allem auffallend viele junge Menschen auf den Straßen. Ich erfahre, daß ich in einer Universitätsstadt bin und ich begreife schnell, daß es für junge Menschen durchaus erstrebenswert sein muß, hier einige der wichtigsten Jahre ihres Lebens zu verbringen.
Kaum habe ich mich im Zimmer meines kleinen Hotels niedergelassen, erregt heftiges Vogelgeschrei meine Aufmerksamkeit. Ich blicke durch das Dachfenster über dem kleinen Tisch und sehe in einen von Hunderten, wenn nicht Tausenden Raben, Krähen und Dohlen schwarzen Himmel, die wild durcheinander fliegen. Schnell wird das Schauspiel für meinen Ornithologen-Sohn auf einem kurzen Video festgehalten. Mein erster unauslöschlicher Eindruck in Rumänien, dessen Boden ich an diesem Tag zum ersten Mal in meinem Leben betreten habe – und ich kann nur hoffen, daß es nicht das letzte gewesen sein wird.
Noch am selben Tag werde ich von einer charmanten jungen Studentin, die knapp vor ihrem Abschluß steht, durch Teile der Stadt geführt. Am Programm steht auch ein Konzert in einer modernen Halle mit über 900 Plätzen, die bis auf den letzten besetzt sind. Virtuose junge Musiker aus dem Westen Europas spielen ein bunt gemischtes Programm und ernten begeisterten Applaus. Beeindruckend für eine Stadt mit gut 270.000 Einwohnern, denke ich. Sie gilt wohl nicht umsonst auch als »Wiege der Rumänischen Kultur«. Am nächsten Tag, an dem dann auch die zweisprachige Lesung im Palais Braunstein auf dem Programm steht, darf ich das örtliche Nationaltheater besuchen, in dem der Wiener sich sofort heimisch fühlt. Es wurde vom Architektenbüro Fellner und Helmer geplant und errichtet, das von 1873 bis 1919 neben dem Wiener Volkstheater an 48 Theaterbauten in und außerhalb der Monarchie beteiligt war. Auch das Universitäts-Hauptgebäude, in dem gerade eine spannende Kunstausstellung zu sehen war, sowie die Orthodoxe Kathedrale mit ihrer eindrucksvollen Ikonostase prägen sich in mein Gedächtnis ein.
Am dritten Tag geht es weiter nach Kronstadt, rumänisch Brașov. 7,5 Stunden Zugsfahrt für 300 Kilometer erscheinen dem gelernten Westeuropäer herausfordernd doch vergehen sie angesichts der malerischen siebenbürgischen teilweise auch bewaldeten Berg- und Hügellandschaft wie im Flug. In der Stadt ist die deutsche Sprache nicht nur aus touristischen, sondern vor allem aus historischen Gründen stark präsent. Eine wunderbare Führerin, emeritierte Universitätsprofessorin, erklärt mir in einem ganz besonders zarten Deutsch, das ich so noch kaum jemals gehört habe, die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die »Schwarze Kirche«, die ihren Namen einem Großbrand 1689 verdankt, bleibt ein unauslöschlicher Eindruck. Die ursprünglich katholische gotische Hallenkirche ist heute die Hauptkirche der deutschsprachigen evangelischen Honterus-Gemeinde in Rumänien. Am Abend füllt sich dann der Saal im erst kürzlich eröffneten »Kulturzentrum Apollonia« zu meiner zweiten Lesung in Rumänien mit einem gespannt lauschenden und schließlich begeisterten Publikum, in dem auch die Autorin eines der gelesenen Texte, Elise Wilk anwesend ist, was mir eine ganz besondere Ehre bedeutet. Die in Bukarest erscheinende ALLGEMEINE DEUTSCHE ZEITUNG Rumäniens berichtete dankenswerter Weise über die Lesereise und veröffentlichte auch ein Interview, das Frau Prof. Mariana Lazarescu bei dieser Gelegenheit mit mir führte.
Am nächsten Tag besteige ich die »Zinne«, das natürliche Wahrzeichen der Stadt, auf rumänisch »Tampa«. Gleich zu Beginn warnt eine Tafel vor möglichen Begegnungen mit Bären. Wie ich nach meiner Rückkehr in der Stadt erfahre, dient diese durchaus nicht nur der Unterhaltung ahnungsloser Touristen, man müsse diesbezüglich tatsächlich durchaus auf der Hut sein. Nach einer guten Stunde Fußmarsch ohne unliebsame Begegnung erreiche ich den Gipfel, von wo aus ich den wunderbaren Blick auf die Karpaten sowie auf die Altstadt von oben genießen kann. Für die Rückkehr entscheide ich mich dann für die Fahrt mit der Seilbahn, die hier auch angeboten wird. Dracula begegnete ich übrigens nur in Form des Namensschildes eines gleichnamigen Restaurants…
Als letzte Station erwartete mich Bukarest. Auch die Reise zwischen Kronstadt und der Hauptstadt erfolgte im Zug. Ankunft in der Hauptverkehrszeit, eine pulsierende Großstadt mit noch breiteren Boulevards als in Iaşi, auf denen sich Staus aber auch nicht vermeiden ließen. Für den Besuch des Präsidentenpalastes fehlte dieses Mal die Zeit, aber ein Spaziergang durch die Innenstadt sowie der Besuch des Stadtmuseums vermittelten einen starken Eindruck der bewegten Geschichte des Landes in jüngerer Zeit. Im Nationaltheater stand an diesem Abend ein Stück der rumänischen Autorin Alexandra Badea auf dem Programm, die ebenfalls mit einem ihrer Texte in meinem Leseprogramm vertreten war. Diese dritte und letzte Lesung in Rumänien fand im prachtvollen holzgetäfelten Saal im Gebäude des Französischen Kulturinstituts statt, das 2024 sein Hundertjahr-Jubiläum feierte und aus diesem Anlaß unsere zweisprachige Veranstaltung empfing.
Es waren aufregende und in jeder Hinsicht bereichernde Tage in einem Land, das es verdient, besucht und bereist zu werden. Ich habe jedenfalls »Blut geleckt« und hoffe sehr, ein nächstes Mal auch noch weitere Regionen Rumäniens erkunden zu dürfen. Statistische Zahlen weisen darauf hin, daß die Bevölkerung vor allem in den Städten abnimmt. Wie traurig, denke ich, es gibt hier doch so viel zu tun. Ich werde diese mit starken slawischen Einflüssen durchmischte romanische Sprache wohl nicht mehr erlernen. Sehr schade, ich könnte mir sonst sehr gut vorstellen, einmal eine längere Zeit in dieser für viele viel zu wenig bekannten Ecke Europas zu verbringen…
Der Text entstand im Rahmen der Reihe ›Begegnungen – Eine literarische Reise österreichischer Autor*innen durch Rumänien‹ vom Österreichischen Kulturforum Bukarest. Diese Mikro-Journale wurden auf Initiative der Leiterin der Österreich-Bibliothek in Cluj-Napoca, Prof. Laura Laza, ins Leben gerufen.