In »Was wir nicht über Vögel wissen«, dem gemeinsamen Projekt von Andreas Unterweger und Volha Hapeyeva, stehen Sprache und Natur im Zentrum. Der Vorschlag stammt von der belarusischen Autorin, in deren Werken – etwa im aktuellen Roman »Samota« (Droschl, 2024) – häufig Tiere vorkommen und die auch promovierte Linguistin ist. Die Ausschreibung sei, wie sie im Gespräch erzählt, somit die Möglichkeit gewesen, zwei ihrer Lieblingsthemen zu verbinden und diese auch in einen zeitlichen Kontext zu betten.
Eine Art Analphabetismus gegenüber der Natur
Dass Volha Hapeyeva eine Idee gekommen sei, die gerade mit Vögeln zu tun habe, müsse kein Zufall sein, denn Vögel seien für sie seit ihrer Zeit als Grazer Stadtschreiberin 2019/2020 mit diesem Ort verbunden:
»In Graz war mein Ort, wo ich so viel über die Vögel erfahren habe, ihnen näher wurde, denn ich konnte sie von meinem Balkon aus beobachten. So eine Vielfältigkeit sah ich zuvor nie, und auch habe ich hier die deutschen Namen für diese Vögel gelernt, und habe sie fotografiert.«
Volha Hapeyeva
Andreas Unterweger, der seine Projektpartnerin bei besagtem Graz-Aufenthalt kennengelernt hat, habe der Vorschlag sofort sehr gut gefallen, »einfach, weil ich sehr wenig über Vögel weiß«. In der Stadt wohnend, habe er viele Jahre lang nur mit Tauben, Spatzen und Krähen zu tun gehabt, erst später, als er in ländlichere Gebiete gezogen sei, habe sich das geändert:
»Jetzt sehe ich Vögel, wunderschöne Vögel – und weiß nicht, wie sie heißen. Ich finde es einen spannenden Aspekt, dass man umgeben ist von Dingen, die man nicht benennen kann, und dass dadurch ständig Missverständnisse stattfinden, zwischen der Natur und mir zum Beispiel.«
Andreas Unterweger
Wie lebt man in einer Welt, in der der Analphabetismus der Menschen gegenüber der Natur zunimmt? Dies war ein Aspekt der ihn an der Thematik besonders interessiert habe.
Ein Palast voller Türen
Volha Hapeyeva, deren poetischer Essay den Beginn des literarischen Dialogs darstellt, verknüpft auf unterschiedliche Weise die Tier- und Pflanzenwelt mit der Sprache. Nicht nur wird der sprachliche Umgang mit Tieren und Pflanzen angesprochen, sondern auch der Umgang mit den Sprachen reflektiert. Sprachen können, so Volha Hapeyeva, wie Lebewesen betrachtet werden, die, benutzt als Mittel patriarchaler Ordnung, »Böses« tun, während sie, etwa in der Form der Poesie oder Literatur, »Schönes« hervorbringen. Eine weitere Parallele sei etwa, dass Sprachen nicht die gleichen Rechte haben, manche seien mächtig, andere gefährdet – und Letzteres nicht der natürliche Lauf der Dinge, sondern die Schuld derjenigen, die die Macht haben, die Sprachen zu regulieren.
Für die promovierte Linguistin sei es, wie sie erzählt, wichtig gewesen, die in dem Essay zur Sprache gebrachten Ideen endlich einmal zu formulieren. Dabei ist, wie auch Andreas Unterweger anerkennt, eine große Bandbreite entstanden:
»Volha hat das Thema wunderbar abgedeckt in ihrem Essay, in alle möglichen Richtungen. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass einerseits alles dazu gesagt ist, andererseits aber auch, dass wahnsinnig viele Türen aufgemacht wurden, in verschiedene Richtungen.«
Andreas Unterweger
Ein neuer Blickwinkel
Ursprünglich wollte Andreas Unterweger über seine subjektiven Erfahrungen, keine Sprache für die Natur zu haben, schreiben. Dann sei er darauf gestoßen, dass sein Analphabetismus für die Natur kein individuelles Phänomen, sondern Objekt zahlreicher Studien sei. Insbesondere werde die Jugend von (meist männlichen) Vertretern älterer Generationen für den Verlust der Sprache für die Natur und das damit verbundene Wissen kritisiert. Doch, wie Andreas Unterweger in seinem Essay ausführt:
»Vielleicht ist es so, dass die jüngeren Generationen eine berechtigte Scheu davor haben, wie ihre Großväter in den Wald zu laufen und Kaulquappen aus dem Teich zu ziehen. Sie wollen nicht mehr eingreifen, sie sehen, der Mensch greift schon genug ein. Ich habe das Gefühl, dass diese jüngeren Generationen etwas begriffen haben, das tatsächlich evolutionär ist: dass sich der Mensch ein bisschen mehr zurücknehmen sollte […] – und wenn man das weiterdenkt, könnte man durchaus zu einem gar nicht so dystopischen und pessimistischen Blick für die Zukunft kommen.«
Andreas Unterweger
Das Weiterleben des Projekts
Volha Hapeyevas Essay ist im aktuellen ›manuskripte‹-Heft Nr. 243 zu finden, der Text von Andreas Unterweger wird in der Sommerausgabe Nr. 244 erscheinen. Danach gibt es den Plan, das Projekt in den ›manuskripten‹ fortzuführen und ab der Herbstausgabe weitere Autor*innen einzuladen, sich zu dem Thema auszutauschen. Es gebe, so Andreas Unterweger, sehr »viele Möglichkeiten. Volha hat so viele Türen aufgemacht, es ist ein kleiner Palast, in dem man sich bewegen kann.«
In der Einreichung für die Ausschreibung hieß es, dass das Weiterleben des Projekts vielleicht bis ins Jahr 2040 stattfinden könnte – »ein utopischer Gedanke, aber wir werden sehen.«
Termine:
Präsentation der ›manuskripte‹ 243: 15. April 2024, 18:00 Uhr, Literaturhaus Graz
Lesung von Andreas Unterweger und Volha Hapeyeva: 8. Mai 2024, 18:00 Uhr, Klima Biennale Wien
Lesung von Andreas Unterweger und Volha Hapeyeva: 15. Mai 2024, 19:00 Uhr, Galerie Marenzi, Leibnitz