Was heißt es, über die Zukunft schreiben? Was sind die Themen, wo setzt man die Grenzen, inwieweit sind die Visionen utopisch und inwieweit eher grau und negativ beladen? Warum hat man schlussendlich Angst, sich solche Fragen zu stellen und sie dann literarisch zu beantworten? Ein Gespräch mit Claudia Tondl und Carolina Schutti über Visionen der Zukunft, eine langjährige Freundschaft und die gemeinsame Arbeit am Projekt ›Internationale Literaturdialoge‹.
»Die Zukunft wird auch nur Gegenwart sein!«
Über die Zukunft schreiben – keine einfache Aufgabe, obwohl jede*r von uns an die Zukunft denkt. Manchmal sind es größere Visionen, manchmal einfache die Gedanken beim Einkaufen darüber, was man am kommenden Tag essen wird. Die Zukunft ist in unserem Alltag präsent, ob sie aber auch in der Literatur einen gleichwertigen Platz einnimmt? Nachdem man nicht wisse, wohin tatsächlich die Reise gehe, habe man Angst, in eine Schublade gesteckt zu werden. Die Zukunftsliteratur werde oft als kein anspruchsvolles Genre bezeichnet. Man wolle keinen kitschigen Text produzieren, deshalb belasse man Zukunftsvisionen zumeist im Kopf, erzählen uns Claudia Tondl und Carolina Schutti. Die Zukunft werde allerdings auch nur Gegenwart sein, was dabei helfe, die Angst zu überwinden. Und das sei ein wichtiges Ziel des Projektes.
Stichwort »Corona«
Frühjahr 2021, nach einem Jahr der Corona-Pandemie finden viele Veranstaltungen digital statt. Die Welt ist globaler geworden. Die räumlichen Grenzen verschieben sich. Man müsse nicht mehr zehn Stunden mit einem Zug fahren, um an einer Lesung teilnehmen zu können. Man schalte den Computer ein und sei schon dabei. Zu dem Zeitpunkt wird das Projekt ›Internationale Literaturdialoge‹ ausgeschrieben. Gleich am Anfang sei die Idee entstanden, an einem Projekt zu arbeiten, mit dem man literarisch auf die aktuelle Situation reagieren könnte. Heutzutage brechen nämlich die Systeme unglaublich schnell, weshalb man neue Konzepte brauche, erzählen Claudia Tondl und Carolina Schutti. Die beiden Autorinnen sehen dabei vor allem die Kraft der Erzählung, denn alles basiere auf Erzählungen.
Zwischen Wien, Innsbruck und Warschau
Claudia Tondl und Carolina Schutti kennen sich, seitdem sie ein literarisches Stipendium in Rax an der Reichenau bekamen. Sie haben bereits zusammengearbeitet und sind miteinander befreundet. Jetzt holen sie sich fünf weitere Autor*innen, eine Kuratorin – Kalina Kupczyńska –, Übersetzer*innen und Ilustrator*innen ins Boot. Gemeinsam arbeiten sie an einer Publikation, die in dem polnischen Magazin Wizje (Deutsch: Visionen) erscheint. Das Sonderheft trägt den Titel Visionen der Zukunft und ermöglicht eine außergewöhnliche Verbindung zwischen Österreich und Polen. Geschrieben werden sechs literarische Texte, welche die Zukunft sowohl im Thema als auch in der Form widerspiegeln. Nachdem die ausgewählten Autor*innen einen unterschiedlichen Zugang zum Thema haben, entstehe eine breite Facette. Jeder Text werde auch durch eine Illustration ergänzt. Das Besondere? Die Texte werden ohne Bewertungen, ohne Kommentare nebeneinandergestellt, sodass jede Person ihre eigenen Schlüsse ziehen kann.
Das Ziel
Man solle sich von den gängigen Zukunftszuschreibungen distanzieren und eine Ebene schaffen, auf der ein Austausch stattfinden könne. Ohne Bewertungen, ohne Kommentare, damit man sich im eigenen Tempo der Zukunft nähern kann, damit die Angst vor dem Unbekannten verschwindet.
Die Zukunft wurde Gegenwart und Vergangenheit
Der Ausgangspunkt des Projekts, das digitale Medium, spiegelt sich auch in der Form der Präsentation des Magazins wider, denn dieses wurde am 3.November 2021 im Österreichischen Kulturforum Warschau über eine Zoom-Konferenz vorgestellt und kann (auf Polnisch) nachgeschaut werden: https://www.literaturdialoge.at/visionen-der-zukunft-praesentation-des-projekts/
Auch das Sonderheft selbst ist mittlerweile fertig und – wie könnte es anders sein – online abrufbar: https://magazynwizje.pl/numer/04-2021
›Visionen der Zukunft‹ – ›Wizje przyszłości‹ – Mitwirkende:
Autor:innen: Franziska Füchsl, Friederike Gösweiner, Carolina Schutti, Thomas Stangl, Michael Stavarič, Claudia Tondl
Editorial Österreich Carolina Schutti
Editorial Polen Kalina Kupczyńska
Kooperation mit dem Österreichischen Kulturforum Warschau
Illustrator:innen: Karolina Lubaszko Rafał Kwiczor Aleksandra Szczepaniak Marta Tomiak Bartosz Kolczykiewicz
Übersetzer*innen:
Tomasz Opaliński
1. Carolina Schutti, übersetzt von Ewa Mikulska-Frindo
2. Claudia Tondl, übersetzt von Sebastian Worożbit
3. Franziska Füchsl, übersetzt von Tomasz Ososiński
4. Friederike Gösweiner, übersetzt von Urszula Popławska
5. Michael Stavarič, übersetzt von Ryszard Wojnakowski
6. Thomas Stangl, übersetzt von Eliza Borg
7. Carolina Schutti’s Editorial, übersetzt von Ewa Mikulska-Frindo