Zwei Autorinnen im Dialog, eine Suchbewegung zwischen Aufbruch und Ankommen. Ein literarisch-politischer Austausch zwischen den geographischen Vermessungspunkten – Salzburg–Wien–Berlin–Tel Aviv.
Nach Tel Aviv ist im Sommer Sandra Gugić umgezogen. Dort hat die Korrespondenz zwischen ihr und Birgit Birnbacher begonnen. Ihre eigenen autosoziobiographischen Verortungen spielen dabei eine wesentliche Rolle. Annie Ernaux, die den Begriff der Autosoziobiographie verwendet hat, spricht davon, dass man sich der eigenen Biographie nur im Rückblick nähern kann. So finde auch in diesem Projekt der unmittelbare Schreibvorgang im Transitraum zwischen Gegenwart und Vergangenheit statt und werde geprägt von den unterschiedlichen Umgebungsbedingungen und kulturellen Einflüssen der Länder, wie Birgit Birnbacher und Sandra Gugić bereits in ihrer Projekteinreichung anmerken.
Während eines Dialogs von mehreren Monaten entstehe ein Transitraum der Gedanken. Gemeinsam mit der Medienkünstlerin Elisabeth Leberbauer werde es an einem Hörspiel gearbeitet, welches sich auch als literarisch-politischer Kommentar zur österreichischen Gegenwartsliteratur versteht.
Das Spannende? Die analoge Präsentation des Hörspiels solle in einem abgedunkelten Raum stattfinden, um die Aufmerksamkeit zu bündeln. Eine andere Möglichkeit sei, Funk-Kopfhörer an das Publikum auszugeben, und so den Raum zu schaffen, um sich das Hörspiel entweder in Bewegung oder in einer Ruheposition anzuhören.
Der erste inhaltliche Vermessungspunkt werde beim ICH und der VERORTUNG gesetzt. Was es bedeutet, was ist das Ziel des Projektes, welche Rolle spielen dabei das ZEITGESCHEHEN und die ECHTZEIT? U.a. diese Fragen haben wir Birgit Birnbacher und Sandra Gugić gestellt. Jetzt freuen wir uns sehr, Ihnen die ausführlichen Antworten präsentieren zu dürfen.
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Magdalena Bak / Nicole Kiefer: Wie ist die Idee zu Ihrem Projekt entstanden? Gab es schon vor der Ausschreibung der Internationalen Literaturdialoge Pläne zu einer solchen Zusammenarbeit, oder hat die Ausschreibung hier die Initialzündung gegeben?
Birgit Birnbacher: Wir stehen schon länger in schriftlichem Austausch. Sandra Gugić lebt in Berlin und ich in Salzburg. Wir sind beide Selbstständige und Mütter. Wir haben beide schon jede Menge gemacht und hatten etwa zur gleichen Zeit unsere ersten Romane draußen. Wir wurden öfter miteinander verglichen und irgendwann kamen wir dann schriftlich in Kontakt. Wir sind beide Menschen, die nicht dauernd um sich selbst kreisen. Das Interesse für gewisse Entwicklungen, vor allem gesellschaftspolitisch, hat immer eine große Rolle gespielt. Als dann klar war, dass Sandra Europa für länger verlässt, beschlossen wir, den schriftlichen Austausch auf einer künstlerischen Ebene fortzuführen und wollten eigentlich einfach mal schauen, wohin uns das so bringt und welche Form das dann annimmt. Als mich die Ausschreibung der Internationalen Literaturdialoge erreichte, musste ich eigentlich erstmal lachen, weil das für uns quasi wie gerufen kam.
MB / NK: Wie haben Sie und ihre Kooperationspartnerin einander kennengelernt? Gab es schon frühere berufliche Berührungspunkte?
BB: Elisabeth Leberbauer, die unser Hörspiel schneidet und produziert, kenne ich, weil sie damals mein Autor*innen-Video für die Bachmannpreis-Lesung in Klagenfurt produziert hat. Sandra Gugić und ich haben Elisabeth dann gefragt, ob sie Lust hat, mit uns zu arbeiten. Und Sandra und ich kannten einander wie gesagt vom Schreiben schon ziemlich gut und auch etwas länger, bevor wir uns zum ersten Mal begegnet sind.
MB / NK: Sie werden in einen mehrere Monate andauernden Dialog treten. Wird es ein rein literarischer Dialog sein, oder ist geplant, auch andere Medien (z.B. Fotografie) zu benützen? Haben Sie vorab festgelegt, in welcher literarischen Form – Briefe, oder auch literarische Texte, Essays – der Dialog stattfinden wird?
BB / Sandra Gugić: Wir sind erst dabei, das Material zu entwickeln. Wir haben uns auf vier Themen geeinigt, die wir erst einmal auf die Agenda bringen wollen. Das sind ICH und VERORTUNG. Wir gehen von den Orten und Transiträumen unserer Vergangenheit aus und erkunden die Räume und Gebiete der Gegenwart, in denen wir leben, im Hinblick auf ihre Einwirkung auf unsere Poetik. SPRACHE und VERSTEHEN und die Frage der ENT/SOLIDARISIERUNG: Mit wem solidarisieren wir uns, wen verstehen wir als unsere Kompliz*innen, im literarischen wie politischen Sinn, wem wollen wir uns verständlich machen über unsere Texte und welche Fragen versuchen wir im Schreiben zu verstehen, ist ebenfalls ein Themengebiet, wie ZEITGESCHEHEN und ECHTZEIT: Es geht um unsere literarischen Verortungen im Echo der aktuellen politischen Entwicklungen und Zustände im jeweiligen Land. Auf Basis dieser übergeordneten Themen werden wir sehen, welches Material wir zusammentragen. Da kann alles dabei sein, Bild, Ton und Text, am Schluss wird sich zeigen, was wir brauchen und auch, was im Licht dieser Produktion dann am richtigen Ort ist.
MB / NK: Ist angedacht, dass Sie einander E-Mails schicken oder handschriftliche Briefe? Und, damit zusammenhängend, wie häufig wird der Austausch etwa stattfinden (täglich/wöchentlich…)?
BB: Wir haben ein gemeinsames Dokument, in das wir schreiben, aber auch andere Kanäle, über die wir in Verbindung stehen. Ich kann für mich sagen, dass ich eigentlich mit niemand so viel und regelmäßig im Austausch stehe wie mit Sandra, wir sind eigentlich über weite Strecken in täglichem Kontakt. Da werden natürlich nicht immer Essays hin und hergeschickt. Oft genügt ja ein Satzzeichen, und es ist Vieles gesagt.
MB / NK: Sie werden diesen Dialog dann gemeinsam mit Elisabeth Leberbauer in ein Hörspiel transformieren. Wie wird diese Zusammenarbeit konkret aussehen, welche Arbeitsschritte gibt es? Was muss mit den zu diesem Zeitpunkt dann schon vorhandenen Texten geschehen, um diesen Medienwechsel zu vollziehen?
BB / SG: Wir beraten uns über die Vorgehensweise und beschließen, welche Stellen und welche Stimmen, welche Sounds und welche Formate es braucht. Das wissen wir erst, wenn die Textauswahl getroffen ist. Vielleicht drängt sich eines unserer Themen besonders auf, dann bekommt das mehr Gewicht. Der Schnitt und die Produktion sind dann Elisabeths Aufgabe.
MB / NK: Ist geplant, dass Sie selbst Ihre eigenen Texte einsprechen?
BB / SG: Das werden wir sehen, wenn es so weit ist. Es kann sein, dass das Material unsere Stimmen verlangt, aber auch das Gegenteil kann der Fall sein. Sowas muss man besprechen und ausprobieren, so weit sind wir noch nicht.
MB / NK [Frage an Birgit Birnbacher]: Sie haben in unterschiedlichen Ländern, auf unterschiedlichen Kontinenten gelebt. Was bedeutet es für Sie, zu einer längeren Reise, einem längeren Aufenthalt im Ausland aufzubrechen? Und wie lange müssen Sie sich an diesem Ort aufhalten, um das Gefühl zu bekommen, angekommen zu sein? Oder ist es von Ort zu Ort ganz unterschiedlich?
BB: Ich bin nach vielen Jahren des Unterwegsseins jetzt schon länger reisemüde. Ich hätte nicht geglaubt, dass es einmal so weit ist, aber heute kann ich ehrlich sagen: Mir bedeutet das Reisen gar nichts mehr. Ich reise nur noch beruflich, wenn ich muss. Gewissermaßen fühle ich auch, dass ich mein Kontingent nicht nur verbraucht, sondern über das Maß ausgereizt habe. Addis (Abeba) war mein erstes Zuhause außerhalb von allem, was ich kannte. Ich war zuvor Lehrmädchen gewesen und bin mit 18 fortgegangen. Ich denke, dass ich in Addis zum ersten Mal in meinem Leben sehr glücklich war und an sowas erinnert man sich natürlich. Von Asienreisen war ich nie besonders angetan, ich frage mich, warum ich all das machen wollte, ich habe dort weder etwas begriffen noch gelernt, solche Rucksackreisen sind doch ein Luxusphänomen, getarnt als Freiheit. Nach Indien zum Arbeiten bin ich nur, weil ich eine etwas ältere Freundin begleitete, die mich darum bat. Ich selber bin früher gerne in Zentral- oder Ostafrika gewesen und das auch gerne allein.
MB / NK [Frage an Sandra Gugić]: Sie haben serbische Wurzeln, sind in Wien aufgewachsen, dann nach Berlin gegangen; nun steht ein weiterer Umzug bevor. Wo fühlen Sie sich (aktuell) zugehörig, und inwiefern kann sich das verändern? Was bedeutet es für Sie, Ihren Lebensmittelpunkt an einen neuen Ort zu verlegen? Und wie lange müssen Sie sich an diesem Ort aufhalten, um das Gefühl zu bekommen, in der neuen Heimat – falls man es denn so nennen kann – angekommen zu sein?
SG: Ich fühle mich bestimmten Menschen und Kompliz*innen zugehörig oder verbunden, die mir nahestehen. Neue Orte oder Städte können Herausforderungen für Geist, Wahrnehmung und Sprache darstellen. Diese Herausforderungen sehe ich grundsätzlich als etwas Positives, das im besten Fall den bisherigen Blick auf die Welt und auch mich selbst kippt, verändert, zumindest infrage stellt. Und natürlich damit auch das eigene Schreiben. Angekommen bin ich bei den Menschen, die mir wichtig sind, darauf kommt es mir an. Ich freue mich auf Veränderungen und neue Erfahrungen, alles andere lasse ich auf mich zukommen.
MB / NK [Frage an Birgit Birnbacher]: War bei Ihren bisherigen Reisen immer klar, dass Sie wieder nach Salzburg/ Österreich zurückkehren würden? Bzw. können Sie sich vorstellen, irgendwann nicht mehr zurückzukehren?
BB: Nein, das war nicht klar. Bei meiner ersten Rückkehr aus Addis habe ich geweint und musste nur zurück, um mein Visum zu verlängern. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal in Österreich niederlassen würde. Ich bin ja nie lange irgendwo gewesen und andauernd umgezogen, viele viele Male im Leben. Ich bin so oft umgezogen, dass ich heute noch schlecht davon träume. Fliegen wollte ich eigentlich gar nicht mehr. Aber vielleicht besuche ich Addis noch einmal, wenn ich alt bin. Und jetzt, wo Sandra nach Israel geht, werde ich wohl doch bald einmal wieder ins Flugzeug steigen.
MB / NK [Frage an Sandra Gugić]: Sie sind gerade im Begriff, nach Tel Aviv zu ziehen. Was hat Sie zu dieser Entscheidung bewegt? Planen Sie, dort langfristig zu bleiben, oder möchten Sie schon wieder nach Europa zurückkehren?
SG: Im Moment sind drei Jahre geplant. Die Entscheidung habe ich gemeinsam mit meinem Partner getroffen. Ich versuche keine Erwartungshaltungen einzunehmen und damit auch die Möglichkeitsräume offen zu halten. Wir werden sehen was kommt.
MB / NK: Annie Ernaux hat, wie Sie in Ihrer Einreichung erwähnt haben, den Begriff der Autosoziobiographie geprägt; ihre These ist, dass man sich der eigenen Biografie nur im Rückblick nähern könne. Könnte man sagen, dass es das ist, was Sie mit diesem Projekt vor allem erreichen möchten, sich Ihrer eigenen Biografie zu nähern? Oder gibt es andere Aspekte des Projekts, die für Sie noch relevanter sind?
BB: Ich finde schriftstellerische Arbeiten reizvoll, die in der Herangehensweise an den Text Reflexion über die eigene Geschichte UND Zeitgenossenschaft berücksichtigen. Es stört mich, dass man diesen Vorgang immer sofort in die soziologische Ecke stellt. Das ist doch ein menschliches Bedürfnis: Zu verstehen, wo man lebt und mit wem, zu begreifen, was man tut und warum.
MB / NK: Was bedeutet es für Sie, sich im Zuge dieses Schreibprojekts so intensiv mit Ihren eigenen Biografien zu befassen? Unterscheidet dies dieses Projekt von anderen, oder ist eine solche Selbstreflexion etwas, was ohnehin immer mitschwingt?
BB: In der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte sind die Sätze noch schneller enttarnt als sonst. Jede falsche Abbiegung verkommt sofort zur Pose. Überhaupt ist viel zu schnell alles falsch. Die eigene Lebensgeschichte ist ein herrliches Feld, weil wir glauben, auf diesem alles zu wissen. Dabei wissen wir wenig. Das liebe ich auch so am Schreiben: Dass man ziemlich bald einmal weiß, wie wenig man weiß.
MB / NK: Was wird die größte Schwierigkeit während der Arbeit am Projekt sein?
BB / SG: Das wird sich zeigen, das wissen wir noch nicht. Das Format, wie wir es geplant haben, bietet vielleicht berechtigten Anlass zur Frage, wie viel Privates man preisgeben will, und zu welchem Thema. Wir sind Mütter und Selbstständige. Wir sind Kompliz*innen und arbeiten in derselben – wenn man so will – Branche. Wir haben beide das Gefühl, gar nicht genau zu wissen, was der Literaturbetrieb eigentlich ist. Und dennoch sind wir jetzt schon eine Zeit lang hier. Diese Tatsache fächert eine ganze Reihe an Themen auf, die nicht nur ergiebig, sondern auch verfänglich sind. Trotzdem wollen wir so frei wie möglich sprechen – also schreiben.