Als Ronny Aviram 2016 wegen ihres Fotografie-Studiums von Israel nach Deutschland zog, wurde sie kurzzeitig die Mitbewohnerin von Christina Maria Landerl, die es schon vor über 10 Jahren von Wien nach Berlin verschlagen hatte. Zwar wohnen sie nun schon die längste Zeit in unterschiedlichen Städten – Berlin und Leipzig – ,seitdem verbindet die beiden aber eine tiefe Freundschaft – sowie der Wunsch, der anderen einmal die eigene Heimatstadt zu zeigen, gemeinsam nach Tel Aviv und Wien zu reisen. Da dies in Zeiten der Pandemie unmöglich schien, sie allerdings schon immer gemeinsam arbeiten wollten, hat sich, wie sie uns im in ihrer Arbeitssprache Englisch geführten Doppelgespräch erzählen, ein Gedanke gefestigt: »the idea of doing something with this wish of ours that we could’nt do in person – in the real world – via art.«
»A VERY INTIMATE VISIT«
An den Anfangspunkt der Idee zu ›TELAVIVIENNA‹ könnte man vielleicht Ronny Avirams Lektüreerfahrung von Christina Maria Landerls Wien-Buch »Verlass die Stadt« stellen, den ersten Roman, den sie jemals auf Deutsch gelesen habe: »I thought it was like somebody taking you by the hand and showing you the city from inside – this really intimate feeling of somewhere else. This is what literature can do.« Im Rahmen ihres Projekts knüpfen die beiden an diesen Gedanken an und erweitern um die Fotografie, die Ähnliches leiste. Es werden also Texte und Fotos entstehen, Texte von Christina Maria Landerl über Wien und Fotos von Ronny Aviram von Tel Aviv. Allerdings nicht für ein anonymes Publikum, sondern für die jeweils andere. Dass Ronny Tel Aviv durch das Medium Bild speziell für Christina beschreibe und diese beim Schreiben Ronny als intendierte Leserin vor Augen habe, mache die entstehenden Kunstwerke auf der einen Seite sehr viel persönlicher und intimer. Auf der anderen Seite führe es aber, so Christina Maria Landerl, bei ihr auch zu deskriptiveren Texten, da mehr Kontext gegeben werden müsse als für eine österreichische Leser*innenschaft.
»COMING HOME«
Ein anderer Aspekt, der dieses Projekt sehr persönlich macht, ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Heimatstadt. Was bedeutet es, nach längerer Abwesenheit zurückzukommen? Welche Erinnerungen kehren wieder, wie anders erlebt man die Stadt nach einer gewissen geographischen und zeitlichen Distanz? Für Christina Maria Landerl und Ronny Aviram sei es ein entfremdeter Blick – einerseits habe man zwar diese nahe Insider-Perspektive auf die Stadt, die man so gut kenne, die sich, auch wenn man schon jahrelang woanders wohne, weiterhin als Heimat anfühle, andererseits sei man zwangsläufig distanzierter. Dies sei allerdings nicht unbedingt schlecht, da es einem manches auch klarer sehen lasse. Ein extremes Beispiel hierfür seien die Bunker und Luftschutzkeller in Israel, deren Vorhandensein sich dort sozialisiert normal anfühle, in Deutschland wohnend allerdings ganz und gar nicht. Ronny Aviram erzählt uns auch, dass die politische Lage im Land im Frühling so katastrophal geworden sei, dass sie sogar eine Pause des Projekts erzwungen habe. Die Situation werde sie sicherlich in ihrer weiteren Arbeit an ›TELAVIVIENNA‹ beeinflussen: »Tel Aviv is such a bubble, it is very easy not to look at the bigger picture when you’re there. But it will trickle into my work – I’m not going to hunt for it, but it is not something one can or should ignore.«
»NOT JUST TWO FRIENDS VISITING EACH OTHER BUT TWO ARTS MEETING«
Was den künstlerischen Dialog zwischen Christina Maria Landerl und Ronny Aviram von einem normalen Briefwechsel stark unterscheidet, ist, dass bis zur letzten Phase des Projekts alles offenbleiben wird. Da die beiden sich nicht zum gleichen Zeitpunkt in ihren jeweiligen Heimatländern aufhalten (werden), arbeiten sie nicht simultan sondern abwechselnd, jede für sich. Vorab festgelegt haben sie bestimmte Themengebiete, etwa ›heat‹, ›change‹, ›mistakes‹ oder ›the hidden‹, die wie Arbeitstitel fungieren und sie bei der Materialsammlung begleiten. Ob diese im Endeffekt dann aber thematisch arrangiert wird, werden die beiden erst zu gegebenem Zeitpunkt beschließen. Wie Ronny Aviram erklärt, sei ein großes Ziel die Bezugnahme der Texte und Bilder aufeinander über eine rein inhaltliche Ebene hinaus: »I take elements of Christinas Texts and relate to them in a photographic way. We are doing it very openly in this sense and perhaps also more closely this way – by not just illustrating each other’s work but reacting to it very deeply.«
Manchmal werde die Verbindung zwischen den Texten und den Fotos erst im Prozess des Zusammenfügens entstehen, wenn das ganze Material nebeneinander auf dem Tisch liegen werde. »New things will turn up, things we could not imagine when we work individually.« Auf diese Phase des Projekts, die eine besonders wichtige sein werde, freuen sich die beiden besonders, denn: »Now we are working separately for each other, and this part will be working together.«
Zunächst werden die beiden einander also in ihrem Wahlheimatland Deutschland wiedersehen. Sollte es möglich sein, würden sie sich aber wünschen, die aus dem Projekt entstehende Buchpublikation, für welche alle Texte auch ins Hebräische übersetzt werden sollen, gemeinsam zu präsentieren – in Tel Aviv und Wien.
Update Dezember 2021: Das Buch »Telavivienna« wird am 16.5.2022 bei müry salzmann erscheinen: https://www.muerysalzmann.com/vorschauen