›Yutata’ti‹ – eine gemeinsame Bühnenproduktion von ›LE STUDIO Film und Bühne‹ in Wien und der mexikanischen Theatergruppe ›Lagartijas Tiradas al Sol‹. Als ich im Juli darüber berichtete, wusste ich noch nicht, wie ich mir alles vorstellen sollte – das Gespräch mit Pierre Emmanuel Finzi und Lise Lendais fand nämlich in einer sehr frühen Vorbereitungsphase statt, was man meinem damaligen Schlusssatz entnehmen kann:
›SPIEGLEIN / Yutata’ti‹ – heute ein Fragezeichen, morgen ein während der Proben gesetzter Beistrich, am 4. September ein Punkt, der den Dialog abrundet.
Jetzt ist es so weit – es ist kein Fragezeichen, kein Beistrich mehr, ob aber wirklich ein Punkt? Ich lasse die Frage einmal offen, um mich ihr erst am Ende wieder zuzuwenden.
Wie angekündigt fand am Wochenende die Wiener Uraufführung des Stücks statt. Das Projekt basiert auf einem gemeinsamen Arbeitsprozess mit einer Gruppe von vier Kindern in Wien – Elisa Martins, Estée Mougin-Wurm, Mikael Kantner und Laslo Lendais (alle Schülerinnen und Schüler des Lycée Français de Vienne) – und einer Gruppe von 4 Kindern im mexikanischen Yanhuitlán – María Victoria Mayoral González, Aranza Jiménez Cruz, Bruno Montiel Cervantes und Luis Ángel Osorio Castro –, die von je einem künstlerischen Team vor Ort geleitet werden. Das Format und der Inhalt haben sich aus den Notwendigkeiten der Corona-Pandemie ergeben und sind eine Antwort auf diese, indem sie die Gefühle und Stimmungen der Kinder widerspiegeln:
»Yutata’ti, der Titel dieses Projekts, bedeutet „Spieglein“, und das ist auch der Begriff, der es am besten beschreibt. Wir arbeiten mit acht Kindern inmitten der Pandemie. Vier Kinder befinden sich in der Region Mixteca Alta im Süden Mexikos und vier in Wien, Österreich. Spieglein ist ein Austausch zwischen diesen Kindern, die sich nicht kennen und die keinen Bezug zu dem Kontext haben, mit dem sie aus der Ferne in Dialog treten. Jede Gruppe schrieb ein Theaterstück, das sich in ihrem Ort ereignete, und schickte es an die andere Gruppe, um es zu inszenieren und zu verfilmen. Das Stück Las Tierras Mágicas / Die Zauberländer wurde von Kindern in der Mixteca Alta geschrieben und wird von Kindern in Wien aufgeführt. Der Film La reunión de los sonidos / Die Zusammenkunft der Klänge, der von den Kindern in Wien geschrieben wurde, wurde in Santo Domingo Yanhuitlán gedreht und von den Kindern dort adaptiert und gespielt. Spieglein ist der Versuch, eine Realität darzustellen, die sich nur durch Spuren erraten lässt. Und so ergibt sich Wien in Yanhuitlán und Yanhuitlán in Wien, wie die Reflexion eines Spiegels.«
Aus dem Prolog des Filmes »La reunión de los sonidos«
Was heißt das in der Praxis? Welche Stimmung wird im Publikum geweckt? Inwieweit spiegelt das Projekt die Probleme der Pandemie wider? Dies sind nur einige Fragen, die sich beim Anschauen der Aufführung ergeben und nach einer subjektiven Beantwortung verlangen. Dem Projekt entsprechend sollte es doch um eigene Eindrücke gehen und diese zu äußern, würde ich mir gerne im Rahmen dieses kurzen Zwischenberichts erlauben.
Samstagabend, kurz vor 19 Uhr, LE STUDIO Film und Bühne in Wien 1090. In dem Foyer warten zahlreiche Gäste, es herrscht eine fröhliche Stimmung. Man unterhält sich in unterschiedlichen Sprachen; vor allem Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch sind zu hören. Auch die Gäste sind nicht nur aus Wien – aus Spanien angereist ist etwa Garbiñe Ortega, die Herausgeberin des Buches, das im Rahmen der »Internationalen Literaturdialoge« entsteht. Der Theatersaal füllt sich langsam mit Zuschauer*innen, es sind alle Altersgruppen dabei. Auch Luisa Pardo und Lázaro Gabino Rodríguez, das Regieteam aus Mexiko, ist anwesend, im Sinne der Pandemie allerdings virtuell – per Zoom – zugeschaltet. Man merkt gleich, es wurde an alles gedacht. Die Spannung wird größer, auch weil Lise Lendais und Pierre Emmanuel Finzi vorab kein Wort über die Entstehung und den Inhalt verraten. Im Saal wird es dunkler, der Film aus Mexiko beginnt. Man wacht in einer völlig anderen Welt auf. Aber Moment, man sieht doch das Wiener Burgtheater, zwar eher aus dem 19. Jahrhundert, aber doch. Einige Sekunden später ist man in einem mexikanischen Wald und da kommt die nächste Überraschung – »Willkommen im Prater«, sagt eine Stimme. Ein kleines Déjà-vu? Absolut nicht! Es geht doch darum, dass die Kinder in Mexiko einen Film drehen, dessen Drehbuch in Wien entstand. Der Inhalt? Man kämpft gegen ein Monster, das die Welt zerstören möchte. Die Moral? Die gibt es freilich auch. Nach einigen Fehlversuchen merken die Kinder, dass sie es nur gemeinsam bekämpfen können, egal, aus welchen Verhältnissen sie kommen und was sie sich im Leben leisten können – eine eindeutige Anspielung auf die Welt der Erwachsenen. Es klingt ernst, ist aber auch sehr witzig. Der Kampf gegen das Monster wird durch Anekdoten über die Entstehung des Getränks Fanta ergänzt. Wer hätte gedacht, dass es eigentlich aus Deutschland kommt und zunächst einen ganz anderen Geschmack hatte? Neben den vier Kindern ist auch ein Chihuahua dabei. Nachdem er zunächst in einer Wohnung verschwindet, taucht er exakt in der Kampfszene wieder auf und sorgt für eine witzige Stimmung.
In dem Saal wird es heller. Die Vorstellung ist allerdings noch nicht zu Ende. Auf die Bühne kommt ein Mädchen. Danach noch ein zweites. Auch in dem Stück, das in Mexiko geschrieben wurde, geht es um eine große Gefahr für die Welt. Und auch hier versuchen die Protagonist*innen zunächst, einzeln zu agieren. Das Krokodil, der Mondhirsch und der Fisch – ein sowjetischer Spion – respektieren nicht, dass sie zur Durchquerung des Landes, in welchem La Duenda wohnt, eine Opfergabe an die Götter entrichten müssen und wollen unbedingt schnell weiterkommen. Dabei sind sie aber in Gefahr – in der Nähe brennen die Wälder. Auch hier gewinnt aber am Ende das Gute, und auch hier nur, weil alle zusammenhalten.
Fazit? Es ist erstaunlich, wie genau die heutige Welt mit all ihren Problemen von den Kindern skizziert wurde. Unglaublich, wie real sie alles präsentieren.
Kommen wir zu dem erwähnten Punkt, der alles abschließen sollte. Gibt es den überhaupt? Meiner Meinung nach nicht. Das Projekt zwingt nämlich zum Nachdenken. Sicher ist, dass eine Fortsetzung folgt. Was sollten wir dann erwarten? Das hängt nur von uns ab. Sind wir imstande, endlich zusammen zu agieren? Das muss jede*r von uns selber sagen – daher absichtlich kein Punkt, auch wenn man diesen gerne setzten würde