New York ist keine Stadt, in der man schreiben kann
New York Stories, Everyman’s Pocket Classics. New York ist keine Stadt, in der man schreiben kann.
In New York muss man draußen sein. Sich die Sohlen auf dem Asphalt ruinieren. Man muss die trockene, warme Luft in der Subway einatmen, und den kalten Wind im Central Park Anfang April. Eastbound.
Regen, Regen, Regen. Wenn es regnet, werden die Straßen zu Flüssen, die in den Hudson fließen. Sich die Sohlen ruinieren. Ich bin ein paar Mal so nass geworden wie lange nicht mehr. Wie ein Kind, das seine Gummistiefel nicht anziehen will.
Ich war allein wie lange nicht mehr, ich habe so viele Menschen getroffen wie lange nicht mehr. Ich war unter Menschen, ich habe so wenige getroffen.
Ich habe mich aufgemacht in und für diese Stadt. Ich habe mich »geöffnet«, wie man in Psychologie-Podcasts gern sagt. Fifty Shrinks. Sich die Sohlen auf dem Asphalt ruinieren.
Regen, Regen, Regen. Vermelde: Habe mich erstaunlich gut zurechtgefunden. Habe viel entdeckt, habe unendlich viel verpasst. Ich habe an so schlimmer FOMO gelitten wie lange nicht mehr. Eigentlich, dachte ich, bin ich zu alt dafür, für diese Angst, etwas zu versäumen, und für diesen Jugendjargon; aber hier bin ich noch einmal neu mit der Welt konfrontiert worden. Wieder einmal.
Man darf kein Weichei sein, man darf aber weinen. The Beauty of Everyday Things. Mit dem Dreck und der Schönheit konfrontiert werden, der Süße und dem Matsch auf den Schuhen, und mit der Nacktheit und den Turnschuhen, und mit zu viel Fett und Zucker und Fleisch, und mit kaltem Wasser, das nach Chlor schmeckt und mit harten Drinks. Sich die Sohlen auf dem Asphalt ruinieren.
Mit der Armut, mit dem Uringeruch und dem Duft von Marihuana. Mit den vollen Einkaufswägen, mit den Schrottsammlern. Den Lieferdienstfahrern und den SUVs. Mit Reformation, Marc Jacobs, Louis Vuitton. Mit den Protesten der Studierenden und mit dem Sicherheitspersonal überall.
Happiness heißt ein Pizzaladen in der Prince Street. I must be dreaming. Wenn ich hier leben würde, über diese Monate hinaus, würde es so weiter gehen mit meinem großartigen Leben als New Yorkerin. Ich würde das hinbekommen, ich bin doch fast schon angekommen in dieser Stadt. Ich bin ja beinah aufgenommen, ich hab auch schon Freunde hier: zarte Pflänzchen beginnender Freundschaft. Freitag, Luncheon in der Public Library. Montag, Kaffee mit Euch? In Mail an Abigail.
Aber wann würde Zeit sein, das alles aufzuschreiben? Wann würde ich die Ruhe finden, wann würde ich mich endlich langweilen in dieser Stadt? Regen, Regen, Regen. Sich die Sohlen ruinieren.
Nicht bei den Kirschblüten würde ich mich langweilen, nicht bei den grauen, flinken Squirrels, nicht bei der unfreundlichen Nachbarin im Apartmentblock Nummer 100. The Female Search for Love.
Nicht bei den Waschmaschinen im Basement, nicht beim freundlichen Doorman, der zumindest einige meiner Gewohnheiten kennt.
Nicht auf der Manhattan Bridge bei Nacht, nicht auf der Brooklyn Bridge am Tag.
Nicht in der 2nd Avenue im Kino und nicht im ukrainischen Restaurant, nicht bei polnischem Bier.
Nicht bei Russ & Daughters und keineswegs bei Katz’s Delicatessen. Lunch Poems.
Niemals im Strand Book Store, niemals im Met Museum. Nicht bei Lobster und nicht bei teurem Wein, nein.
Niemals bei Mitsuko Uchida, die Schubert spielt in der Carnegie Hall.
Niemals im Slipper Room, wenn Sir Richard Castle wortspielreich Ansagen macht.
Nicht in den Galerien, nur manchmal vielleicht.
Nicht im Washington Square Park, dort sicher nicht.
Nicht bei Mad Man Coffee, nicht bei Tacos und Guacamole, und nicht im Kino IFC.
Nicht an der Upper Westside.
Sich die Sohlen auf dem Asphalt ruinieren.
Nicht in der Wohnung von M. und G.
Nicht bei Antonia.
Nicht mit: Mrs. Dalloway.
Nicht mit Tess im Museum.
Nicht im Public Theatre, nur ein bisschen.
Nicht im Signature Theatre, kaum. Es liegt auch an mir.
Nicht in der kleinen Küche mit dem Gasherd, nur selten vielleicht.
The Orange and other poems.
New York ist keine Stadt, in der man schreiben kann. Man muss sich die Sohlen auf dem Asphalt ruinieren. Man muss die Frühlingsluft einatmen im Central Park und dabei zusehen, wie auf dem Eislaufplatz am Wollman Rink nun Pickleball gespielt wird.
Teresa Präauer war von 1. März bis 30. April 2024 writer-in-residence am Deutschen Haus at New York University. Am 28. März fand eine vom Österreichischen Kulturforum New York in Kooperation mit dem Deutschen Haus organisierte Veranstaltung mit Teresa Präauer in New York statt.