Fünf Kroatische Miniaturen
1.
Der Vienna International Busterminal ist eine Installation, die interaktiv kommuniziert. Schleich dich! sagt er zu allen, die eintreffen, und Schleich dich! zu allen, die wegfahren. Schwer zu glauben, dass sich Wien so etwas 2022 traut. Eine Dystopie unter dem Autobahnkreuz, wahllos gestapelte Container, aus denen unkontrolliert Gebüsch sprießt. Keine Bäckerei, kein Kaffee. Kaum Sitzplätze im Warmen. Das Containerklo ist mit Drehkreuz gesichert und kostet 50 Cent. Hier kommen die ArbeiterInnen an, ohne die „nichts geht“. Familien, die es zueinander zieht. Studenten und Studentinnen, die den europäischen Gedanken leben. Touristen, die Devisen bringen, reisen über Hauptbahnhof oder Flughafen an.
Auf den Busbahnhöfen in Zagreb, in Zadar, in Rijeka gibt es ordentlichen Kaffee, das Klo kostet 30 Cent und manchmal gibt es auch einen Blick auf das Meer.
2.
Österreich im Spiegel. Die Herrengasse auf dem Zagreber Kapitol. Statuen von wichtigen Männern, von denen auch dieses Land gar nicht genug kriegen kann. Erinnerungen an und Gedanken über Österreich: in Interviews, bei den Abendessen, beim Bier, bei Sardinen und Rotwein und den vielen Bijela Kavas.
Österreich, das Herrenmenschenland. Das Wichtigtuerland, das Gastarbeiterland. Ich muss dauernd daran denken, wie Österreich sich gern aufplustert und aufpudelt. Daheim, und wenn es in den Urlaub fährt. Ich bin da auch im Spiegel, in meiner bürgerlichen Kleinstadt, in der die Kinder immer noch feinsäuberlich voneinander getrennt werden: nach Klasse, nach Herkunft, nach Religion, nach Geschlecht. Tröstlicher Verdacht: die Kroaten sind auch nicht viel besser als wir.
Genauso rassistisch, nationalistisch, katholisch und misogyn. Traumatisiert von der Verzwergung nach dem Großreich. Der ewige Spagat zwischen „wir waren mal wer“ und „so sind wir nicht“.
3.
In der „špreha“, den kroatischen Germanismen, finde ich Großartiges. Ciferšlus: der Zippverschluss. Forcimer: das Vorzimmer. Krizbam: der Christbaum. Šrafciger: Schraubenzieher. Jetzt war ich schon fünfzig Mal in Kroatien und kenne kein einziges dieser Wörter. Nur Strände, Bergdörfer, das Meer, das Essen. In Zagreb war ich nur ein einziges Mal, 1998. Nada zeigt mir die Stadt und die Schäden des Erdbebens 2020, das ich gar nicht registriert habe. Der halbe Kirchturm ist heruntergefallen. Sie erzählt mir von den verschiedenen Winden an der Küste, und davon, dass der Südwind „Jugo“ seinerzeit strafmildernd in der Republik Dubrovnik war, weil er so eine schlechte Auswirkung auf die Stimmung der Menschen hatte.
Sie ist jünger als ich, hat schon einen Krieg erlebt und erzählt mir davon in deutscher Sprache, während der Bus durch das ehemalige Kriegsgebiet fährt. Ich kann es mir immer noch nicht vorstellen.
4.
Wir haben beide keinen Badeanzug mit, und wir haben bestenfalls 10 Minuten. Stjepanka findet das Meer im Oktober genauso kostbar und exklusiv wie ich. In Unterwäsche schwimmen wir euphorisch im kühlen Wasser. Später sitzen wir vor den schüchternen Studentinnen, die uns am Nachmittag durch die Stadt geführt haben. Frauenstadtspaziergang, das klingt harmlos, aber mich hat es im höchsten Maße radikalisiert, mit der Nase auf das Vergessen alles Weiblichen gestoßen zu werden. Sicher funktioniert es hier auch! Später trinken wir das Bier der beiden Revolutionärinnen Ana und Maja, die die Brlog Brauerei-Genossenschaft aus dem Nichts gegründet haben. Ich trinke mit großem Durst und Genuss das ganze Repertoire: Die Blonde, Die Ungehorsame, Rosa und Das Vorgefühl.
5.
In der Bibliothek in Zagreb, im Fernsehstudio. Bei der Meerorgel in Zadar, in der Innenstadt mit ihren glänzenden Steinböden. In Rijeka auf der Terrasse des Cafes. Es sind inspirierende Gespräche mit so wahnsinnig gescheiten Frauen. Ihr seid doch schon viel weiter, sagen sie zu mir. Das stimmt nicht, entgegne ich. Wir sind auch noch nicht so wütend, wie wir sein sollten.
Wir reden über Denkmäler, über Kürettagen ohne Narkose und unnötige Dammschnitte. Über eingeschränkte Rechte in Polen und Ungarn, und was in Italien jetzt alles passieren könnte. Wir tauschen Ungeheuerlichkeiten aus und rücken zusammen.
10. – 15. Oktober 2022, Wien – Zagreb – Zadar – Rijeka – Wien
Gertraud Klemm