Wie wird das Leben im Jahr 2040 aussehen, sowohl im Großen als auch im Kleinen, Individuellen? Wie könnten digitale Technologien sich weiterentwickeln, wie das eigene Leben zu diesem Zeitpunkt aussehen?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich das gemeinsame Projekt der beiden Schriftstellerinnen Christina M. Landerl und I.V. Nuss, in welchem sie ihre zukünftigen »Ichs« – die im Jahr 2040 46 bzw. 61 Jahre alt sein werden – in einen Dialog treten lassen.
Ausgangssituation
Im Gespräch erzählen die Projektpartnerinnen, wie es zu der Zusammenarbeit im Rahmen von ›Imagine Dignity‹ gekommen ist. Christina M. Landerl habe bei der Ausschreibung thematisch sofort an ihre ebenfalls in Berlin lebende Schriftstellerinnenkollegin und Freundin I.V. Nuss gedacht, deren erster Roman »Die Realität kommt« (Diaphanes, 2022) sich auf verschiedenen Ebenen mit virtuellen Realitäten auseinandersetzt. Und wirklich sei, so die 1994 geborene I.V. Nuss, für sie als »Kind des Internets« Virtualität als identitätsstiftendes Medium von großer Bedeutung: »Man ist niemals offline in meinen Texten.«
Im Gegensatz dazu kamen in den bisherigen Werken von Christina M. Landerl Medien wie das Internet wenig vor, was sie darauf zurückführt, dass sie noch einer anderen Generation angehöre:
Natürlich sind nicht alle Schriftsteller*innen deiner Generation so sehr im Thema drin […], aber in meiner Generation ist es schon noch extrem selten, dass überhaupt jemand online ist oder dass Menschen sich in virtuellen Räumen begegnen…das ist ja dann immer schon so WOW…und oft scheuen die Leute in meinem Alter, über 40, sogar davor zurück, dass da ein Handy vorkommt, »das finde ich jetzt zu unpoetisch«…
Christina M. Landerl
Dies ändert sich nun mit ›Posthuman Dreams‹, denn in dem Projekt knöpft Christina M. Landerl sich gemeinsam mit ihrer Projektpartnerin künstliche Intelligenzen vor.
Die Hoffnung des Dialogs in der Fiktion
Besonders wichtig bei dem Gemeinschaftsprojekt war Christina M. Landerl und I.V. Nuss der kooperative Ansatz; anstatt zweier getrennter Texte entsteht ein gemeinsam verfasster Dialog. Bei der Wahl der Textsorte beziehen die beiden Autorinnen sich auf den tschechisch-brasilianischen Medienphilosophen Vilém Flusser (1920-1991), der in seinen technooptimistischen theoretischen Schriften unter anderem die beiden Kommunikationsformen des Diskurses (=Wissensvermittlung) und des Dialogs (=Austausch) gegenüberstellte und die Hoffnung äußerte, in der Zukunft könne durch neue Technologien der vorherrschende Diskurs durch eine demokratische Art des Austausches ersetzt werden. Dieser utopischen Idee, die sich in der Realität trotz des Internets nicht verwirklichen konnte, folgen Christina M. Landerl und I.V. Nuss in dem autofiktionalen Dialog ihrer Alter Egos im Jahr 2040.
Die Welt, die die beiden in ihrem Text zeichnen, ist eine trostlose, einsame geworden, in der keine Begegnung mehr zwischen Menschen stattfindet. Die zukünftigen »Ichs« von Christina M. Landerl und I.V. Nuss haben sich zurückgezogen, die eine in virtuellen Realitäten in der Großstadt, die andere in die Natur, die aber 2040 alles andere als idyllisch ist. Beide sind vollkommen alleine – und in dieser dystopischen Ausgangssituation stellt schon der Beginn des Dialogs der beiden alten Freundinnen ein hoffnungsvolles, utopisches Moment dar. Ausgetauscht werden nicht nur Gedanken und Ideen, sondern auch Versatzstücke der eigenen Geschichte: Was ist seit dem Jahr 2023 im Leben der beiden passiert? Am Ende steht auch die Hoffnung, weitere Menschen, die man einmal kannte, aufzuspüren und den begonnenen Dialog auf diese Weise auszuweiten.
Kollaboratives Arbeiten
Wie kann man sich den Arbeitsprozess bei dem Projekt vorstellen? Wie Christina M. Landerl und I.V. Nuss erzählen, schreiben sie einander abwechselnd Briefe; gegen Ende des Textes wird noch eine weitere Dialogform eingeführt, die des Chats, der ebenfalls gemeinsam verfasst wird.
Über Schreibprojekte wie diese, bei denen man kollaborativ arbeiten könne, freue sie sich immer, so I.V. Nuss, denn auf diese Weise sieche »man nicht die ganze Zeit in der eigenen Gehirnsuppe vor sich hin«. Sie ist momentan noch an einer weiteren Gemeinschaftsarbeit beteiligt, dem im März erscheinenden Kollektivroman »Wir Kommen« (DuMont, 2024), an dem 18 Autor*innen zwei Monate lang gemeinsam in einem google docs-Dokument gearbeitet haben.
Auch Christina Maria Landerl ist an gemeinsamen Projekten mit anderen Künstler*innen sehr interessiert. Die Arbeit an ›TELAVIVIENNA‹, ihrem gemeinsamen Projekt mit Ronny Aviram im Rahmen der ›Internationalen Literaturdialoge‹ 2021, habe ihr »so viel Spaß gemacht, dass ich das jetzt ständig machen möchte, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten.« Wir freuen uns auf viele weitere kollaborative Projekte der beiden.
Zum ganzen Gespräch mit Christina M. Landerl und I.V. Nuss: https://www.literaturdialoge.at/folge-15-posthuman-dreams-ein-dialog/