Neverend… never… end… – dreißig Jahre nach ihrem Beginn und 20 nach ihrem Ende sind die Jugoslawien-Kriege noch immer eine offene Wunde, die sich über die jugoslawische Diaspora hinaus in allen Bereichen der europäischen Identität bemerkbar macht, indem das kollektive Gedächtnis stark geprägt wird und das Thema bis heute ein Tabu ist. Wonach kann gefragt werden? Mit wem kann man überhaupt sprechen? Was darf man wissen? Das sind nur einige Fragen, welche jene beschäftigen, die den Krieg persönlich nicht erlebt haben und das sowohl im In- als auch im Ausland. Nachdem das Thema immer noch präsent ist, spricht Andreas Unterweger über die »Long Yugoslav Wars«, was eine wörtliche Anspielung auf die COVID-19-Pandemie ist.
So ist ebenfalls die Idee für das Projekt ›NEVEREND. Literarische Dialoge zwischen Nord und Süd‹ entstanden. Der Anlass war – auch im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie – der fehlende Austausch, das Bedürfnis, mit Menschen zu kommunizieren. Der Alltag würde größtenteils digital, ebenfalls das Projekt. ›Neverend‹ nominiert drei Tandems, bestehend aus je einer/einem deutschsprachigen und einer/einem südosteuropäischen Schreibenden. Das Ziel ist die Erstellung dreier literarischer Dialoge – welche konkrete Form diese auch immer annehmen mögen. Vom klassischen Brief-/Mailwechsel bis zum aufgezeichneten Gespräch, vom Kurzfilm bis zum lyrischen Duett ist alles gleichermaßen erwünscht. Gearbeitet wird mit den Übersetzungen, sodass die inhaltliche Ebene auf keinem Fall durch fehlende Sprachkenntnisse benachteiligt wird.
Die Dialoge werden im Rahmen zweier Hybridpräsentationen in Graz und Hamburg mittels Lesungen, Filmvorführungen und Gesprächen vorgestellt, ihre Textfassung in der Literaturzeitschrift ›manuskripte‹ publiziert. Da die deutschen Texte auch in die Sprachen der nicht deutschsprachigen Teilnehmer*innen übersetzt werden, können sie anschließend auch in Medien Sloweniens, Kroatiens oder Mazedoniens veröffentlicht werden. Sobald sie dabei weitere Kommentare und Übersetzungen auslösen, kommt ein grenzübergreifender Kommunikationsschneeball ins Rollen, der selbst gerne zur »neverending story« werden darf. Das Gespräch fortzuführen, über Sprachgrenzen und wunde Punkte hinweg, ist seit jeher der einzige Weg, den Krieg zu beenden.
Gestellt werden viele Fragen. Was erzählt uns der aktuelle Zustand der exjugoslawischen Staaten, mit ihren regionalen Nationalismen und autoritären Tendenzen, über uns, sprich: die EU? Was die Flüchtlings-»lager« und Pushbacks in den bosnischen Wäldern? Wie rasch kippt der analytische Blick auf den Süden in kolonialistische Überheblichkeit? Was muss das übrige Europa lernen, um nicht über kurz oder lang in eine Vergangenheit einzutauchen, der die Balkanstaaten eben erst entkommen sind? Und welche direkten und vor allem indirekten Spuren hinterließen der Krieg und seine Folgen in den Biografien der Gesprächsteilnehmer*innen, in ihrem Selbstverständnis, ihrer literarischen Arbeit?
Auf die Antworten darf man gespannt sein. Gehofft wird ebenfalls darauf, dass das Projekt der Beginn eines längerfristigen Austauschs sein wird, welcher nicht mit der Veröffentlichung bzw. Lesung sein Ende haben wird.
Update Oktober 2021: Das ›manuskripte‹-Heft 233/2021 ist erschienen: https://andreasunterweger.wordpress.com/2021/10/13/manuskripte-233-marginalie/ .