Die Thematik der künstlichen Intelligenz ist eine, die Thomas Ballhausen aus essayistischer, literarischer, aber auch aus literaturwissenschaftlicher Perspektive schon länger beschäftige, wie er uns im Interview erzählt. Auch die ägyptische Gegenwartsliteratur, zu der er über die ägyptische Mythologie gekommen sei, interessiere ihn aufgrund der Verhandlung gesellschaftlich relevanter Sujets besonders, wenn auch bislang vor allem als Lesenden.
Für sein bei den ›Internationalen Literaturdialogen‹ eingereichtes Projekt hat er ägyptische sowie österreichische Autor*innen gewonnen, die schon in ihrem bisherigen literarischen Schaffen auf unterschiedliche Weise den Einfluss technologischer Errungenschaften auf unser Leben reflektiert haben: etwa, wie neue Kommunikationsmittel die Art, in der wir miteinander sprechen, prägen, oder wie Gesellschaft, Arbeitswelt und Kommunikation im 21.Jahrhundert funktionieren. Diese insgesamt sechs Autor*innen werden literarische Texte zum Themenkomplex der Artificial Intelligence verfassen; zuvor werden sie allerdings in Form von Online-Labs miteinander in einen Austausch treten, der auch eine Begegnung verschiedener Sprachen sein darf. Thomas Ballhausens Rolle wird dabei vor allem in der ersten Phase des Projekts die des Moderators sein, der den thematischen Rahmen vorgeben und die Gespräche zwischen den Autor*innen anleiten wird.
Nach den Online-Labs wird die Präsentation des Projekts im Herbst bei einer ersten öffentlichen, frei zugänglichen Online-Veranstaltung in Kooperation mit dem Kulturforum Kairo erfolgen; geplant ist ebenso eine Vorstellung des Projekts bei der ›Langen Nacht der Forschung‹ 2022. Darüber hinaus wird im Verlag Edition Atelier eine Buchpublikation entstehen, die alle literarischen Texte der ägyptischen und österreichischen Autor*innen auf beiden Sprachen – Deutsch und Arabisch – beinhalten wird.
Wir haben Thomas Ballhausen in unserem Gespräch nach den für ihn wichtigsten Aspekten des Projekts gefragt und präsentieren in weiterer Folge seine Antworten:
Literatur und Artificial Intelligence
»Articial Intelligence hat mit unserem Leben zu tun, und zwar auf eine Weise, dass die Literatur darauf reagieren kann und vielleicht auch muss. Literatur hat immer wieder technologische Entwicklungen antizipiert. Sie kann uns helfen, noch einmal einen anderen Blick auf die Dinge zu werfen bzw. einen geschärften Blick für bestimmte Entwicklungen zu haben. Teilweise hat sie diese nicht nur reflektiert, sondern auch vorweggenommen – etwa das Internet oder Virtual Reality haben auf verschobene Weise in der Literatur existiert, bevor es sie in der Wirklichkeit gegeben hat. Vielleicht werden also auch einige der Texte etwas erfinden, was erst in 100 Jahren künstliche Intelligenz sein wird – das kann auf einer formalen wie auf einer inhaltlichen Ebene unheimlich spannend und bereichernd werden.«
Künstlerisches Forschen
»Innerhalb der unterschiedlichsten künstlerischen Disziplinen gab es immer den Wunsch, dem eigenen Recherchieren, Forschen, Herausfinden eine Kontur zu geben. Soweit ich es nachvollziehen kann, hat das in der Bildenden Kunst ihren Anfang genommen, ist mittlerweile auch in der Literatur stärker geworden und insgesamt im europäischen Diskurs angekommen. Das bedeutet nicht, dass die Literatur die bessere Literaturwissenschaft sein will – ich glaube, das wäre ein großer Fehler -, sondern, zu erkennen, dass man mit der Literatur recherchieren, fragen, reflektieren kann. Und zwar auf eine Weise, die zulässt, dass man etwa klassischerweise getrennte Textsorten zusammenzieht; zum Beispiel kann ein Essay in einer lyrischen Form funktionieren. Auch kann man sich in der Literatur mit Fragen der Politik oder Technik beschäftigen. Ich denke, künstlerisches Forschen erweitert auf diese Weise unsere Möglichkeit, zu fragen, herauszufinden, zu reflektieren – es ist also keinesfalls eine Ablöse klassischer wissenschaftstheoretischer Modelle, sondern ein Hinzutreten. Die Künste können mit ihren Möglichkeiten Fragen auf eine Weise formulieren, die so in der Wissenschaft vielleicht nicht vorkommt.«
Austausch
»Ich möchte den Austausch der Autor*innen untereinander möglichst offen halten. Es wird zwei, drei Spielregeln geben, die sich vom Thema des Projekts ableiten; ich denke aber, dass man im Miteinander herausfinden wird, was für Texte schlussendlich entstehen können. Ich habe in Schreibworkshops bisher immer gute Erfahrungen damit gemacht, Teilnehmer*innen dazu einzuladen, unter gewissen Vorgaben in ein literarisches Miteinander zu treten. Ich erhoffe mir, dass dieser Austausch dazu führen kann, dass die Autor*innen im Miteinander für sich herausfinden, was das Thema ist, das sie bearbeiten möchten und in welche Richtung die Reise mit dem Text gehen wird. Im besten Fall werden sie einander auf Dinge hinweisen und auf Themen bringen, die sie vorher noch nicht parat hatten. Ich selbst empfinde es als Privileg, diesen Dialog anleiten bzw. mithelfen zu dürfen, dass der Dialog in der Form überhaupt entsteht.
Hier schließt sich auch der Kreis zur künstlerischen Forschung: Wenn wir uns über ein Thema unterhalten, wissen wir etwas darüber. Im zweiten Schritt gibt es eine Art Vorwissen darüber, wo man nachschauen könnte, wenn man sich weiter informieren möchte. Im dritten Schritt gibt es auf für uns nicht immer bewusste Weise Aspekte, die unseren Umgang mit dem Thema mitprägen, etwa eine gewisse Haltung zu Literatur und Technik. Der vierte Schritt wäre dann, dass es etwas herauszufinden gibt, von dem wir vor Eintritt in den Dialog noch gar nicht wissen, dass wir es herausfinden wollen. Dazu möchte die künstlerische Forschung uns einladen. Die hier entstehenden Dialoge sollen von dem Wunsch getragen sein, zu diesem vierten Moment vorzudringen. Ich denke, insgesamt ist der Dialog einer der glücklichsten Wege, herauszufinden, was wir noch nicht kennen und wie wir uns dem künstlerisch gut annähern können.«
Ein Dialog, der weiterbestehen darf
»Als ich das Projekt eingereicht habe, war es schon ein Wunsch von mir, zu schaffen, dass Personen, die noch nicht voneinander wissen, miteinander ins Gespräch treten können. Ich stoße diesen Dialog an, aber vielleicht ergeben sich Gespräche in der Zukunft, bei denen ich gar nicht mehr dabei bin. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Dialog über die Projektlaufzeit hinaus weiterbestehen wird – und fände es so wichtig, dass nicht wieder alle schon etablierten Verbindungen gekappt werden.«
Sichtbarkeit der Autor*innen beider Sprachräume
»Bei der in Zusammenarbeit mit dem Verlag Edition Atelier entstehenden Buchpublikation werden alle Beiträge auf beiden Sprachen – Deutsch und Arabisch – vorhanden sein. Das erlaubt eine Sichtbarkeit in beiden Sprachräumen und führt damit zu einer gewissen Nachhaltigkeit des Projekts. Ich möchte einen Band machen, der im deutschen Sprachraum seine Leser*innen finden wird, aber auch auf der ägyptischen Seite. Für den Verlag ist das interessant und neu, und auch die Autor*innen werden in eine Sprache übersetzt, in die sie ansonsten wahrscheinlich nicht übersetzt werden würden. Ich sehe das Projekt im besten Sinne als Türöffner: Warum sollte die Publikation nicht der Anstoß sein, Romane ägyptischer Autor*innen ins Deutsche zu übersetzen, oder umgekehrt, Werke österreichischer Schriftsteller*innen ins Arabische?«