22. November 2022, 18:00
Österreich-Bibliothek Pécs, Ifjúság útja 6
Paul Ferstl erzählt in »Das Grab des Ivan Lendl« über Auslandszivildiener in Rumänien.
Am 22.11.2022 besuchte der Wiener Autor Paul Ferstl mit seinem Roman Das Grab von Ivan Lendl die Österreich-Bibliothek Pécs. Idee für die Lesung war, dass der Autor nicht nur aus seinem Roman vorliest, sondern dass auch ein Gespräch mit dem Autor sich entwickelt. Um dies zu erreichen, wechselten sich Passagen aus dem Buch mit Fragen aus dem Publikum und dem OeAD-Lektor Benedikt Roland ab. Neben dem Anfang des Romans, der einen Einblick in die Problematik des Buches gibt, las der Autor Beschreibungen der verschiedenen Auslandszivildiener vor. Die Vorstellung der Zivildiener gibt das spezielle Setting (Milieu) des Romans an. Und genau dieses Umfeld, zwischen dem der Test spielt, stellte den zentralen Punkt des Gespräches dar: Inwiefern ist es ein Text über Auslandszivildienst, übers Ausland (Rumänien) oder doch ein Buch, das über die besondere Erfahrung junger Männer im Ausland handelt. Aber selbstverständlich wurde auch die Rolle des Autors angesprochen: Wie trifft ein Autor Entscheidungen, wie ist es über etwas zu schreiben, das man selber erlebte (Paul Ferstl machte seinen Auslandszivildienst in Rumänien). Aber vielleicht der wichtigste Punkt war einen Einblick in den Humor des Buches (in der Sprache, in der Erzählsituation) zu bekommen.
Der Witz des Textes zeigt sich in einer unglaublichen (aber wahren) Anekdote, die nach der Lesung Autor und Lektoren entdeckten. OeAD-Lektor Benedikt Roland erzählte, dass er das Buch im Zug zwischen Pécs und Budapest las und dabei häufig lachen musste. Der Autor zog daraufhin sein Handy hervor und nach einiger Zeit las er einen Kommentar vor, der unter einer Aufnahme einer Lesung aus dem Buch gepostet wurde. Eine Frau schreibt darin, dass sie mit dem Zug von Pécs nach Budapest fuhr und ihr gegenüber ein junger Mann saß, der ein Buch las und wiederholt lachte. Sie konnte den Titel nur teilweise lesen, mit der Hilfe einer Bibliothekarin konnte das Buch aber identifizieren werden, schließlich kündigte sie im Kommentar an, dass sie sich das Buch auf jeden Fall besorgen werde. Die unwahrscheinliche Begegnung, Dokumentation und Entschlüsselung ist vielleicht bester Beweis für die Qualität von Paul Ferstls Roman. Vielleicht zeigt die Anekdote aber auch auf einen bisher unerschlossenen Bereich für Literaturvermittlung: Züge. Vielleicht sollten die kommenden Veranstaltungen des Kulturforum schlicht Zugfahrten sein, während denen gelesen wird: Offensichtlich können auch auf diese Weise Menschen von österreichischer Literatur begeistert werden. (Ganz abgesehen davon, dass neue Geschichten dabei entstehen.)
Zum Buch:
Zivildiener in Rumänien und in der Ukraine, in der ausländischen Provinz abgestellte junge Männer, die fern von daheim für wenig Geld schwer arbeiten. Einer davon ist der 19-jährige Zivildiener Pich.
Er baut Hütten im Überschwemmungsgebiet, muss mitanpacken, wo er vor Ort gebraucht wird. Zu essen gibt es Eintopf mit viel Zwiebeln, zu trinken gibt es Bier und viel Schnaps, die Not der Bevölkerung bedingt auch die Lebensumstände der Zivildiener. Dann passiert ein Unfall und Pichs Kollege Ivan, der schon länger in Rumänien weilt, weil er nach dem Zivildienst einfach dortgeblieben ist, kommt dabei zu Tode. Ivans Schwester Ivanka kommt zu dem Begräbnis. Sie will herausfinden, wie der Unfall passiert ist, auch, wie und wo ihr Bruder dort lebte und begibt sich auf die Suche. Begleitet wird sie von Pich. In Rückblenden wird Pichs Beziehung zu Ivan während des gemeinsamen Jahres erzählt. Als im rumänischen Norden ein Zivildienstkollege Selbstmord begeht, steigt der Verdacht auf, dass Ivans Tod kein Unfall gewesen sein könnte.
Paul Ferstls Roman über junge Menschen in einem fremden Land, die sich plötzlich einer Verantwortung stellen müssen, der sie kaum gewachsen sind, über sexuelle Gewalt unter Männern in prekären Lebensumständen, und über die Macht und Ohnmacht des Schweigens. (Quelle: Milena Verlag)