Wie haben sich die letzten Monate, das letzte Jahr, wie hat sich die Pandemie auf unsere Körper, auf die Wahrnehmung von Körpern, Körperlichkeit, auf Versehrung und Unversehrtheit ausgewirkt? Wie sehr wurde der eigene Körper zum Feind, und erst recht der der anderen? – Wurde und wird Politik über die Körper gemacht, wie empfinden wir das als Individuen, Personen, aber auch als Bürger*innen eines Landes, welches sich als »großer Körper« gegen andere »große Körper« abgrenzt? All dies sind Fragen, die Anna Rottensteiner stellt und gemeinsam mit drei ausländischen Kooperationspartner*innen – Stefano Zangrando (IT), Liliana Corobca (RU) und Cécile Wajsbrot (FR) – in Form von Essays und Erzählungen zu beantworten versucht.
Europa in seinem Bogen berücksichtigen
Innsbruck – Rovereto – Bukarest – Paris – Cork – fünf Städte, die auf den ersten Blick mehr trennt als verbindet. Allerdings nur auf den ersten Blick. Erwähnt werden soll noch ein weiterer Ort, nämlich Bozen. Hier ist die Literaturwissenschaftlerin, Leiterin des Literaturhauses Innsbruck und Schriftstellerin Anna Rottensteiner geboren, aber nicht nur sie – auch Stefano Zangrando – ebenfalls Literaturwissenschaftler und -kritiker, Übersetzer sowie Schriftsteller – kommt aus Bozen. Nicht weit weg entfernt ist Sterzing, eine kleine Ortschaft, in der ca. 6000 Einwohner*innen leben. Von dort – über Innsbruck und Dublin – nach Cork zog Barbara Siller um, die den wissenschaftlichen Beirat und die Rolle einer Moderatorin bei dem Projekt »Internationale Literaturdialoge« übernahm. Am Ende des Projektes wird sie dann die geschriebenen Texte lektorieren und editieren. An Bord gibt es noch zwei weitere Autorinnen, die zwar keine Bezüge zu Südtirol haben, aber ebenfalls das ›Internationale‹ verkörpern. Die zwischen Paris und Berlin lebende Schriftstellerin und Übersetzerin Cécile Wajsbrot auf der einen Seite sowie die aus dem moldauischen Săseni stammende und in Bukarest lebende Autorin Liliana Corobca auf der anderen. Nicht nur das Stichwort ›international‹ versteht sich hier von selbst, sondern auch der ›Dialog‹, denn die Autor*innen schreiben zwar ihre Texte alleine, aber der Schreibphase ging eine Online-Diskussion voraus. Hier habe man das Thema weitergedacht, es in die Tiefe entwickelt, wie Anna Rottensteiner in unserem Gespräch erzählt. Damit das Format nicht den Rahmen überschreite, kümmere Barbara Siller sich um den ganzen Ablauf. Dem Zufall wird somit nichts überlassen. Auch die Auswahl der Projektpartner*innen erfolgte nach bestimmten Kriterien. Anna Rottensteiners Ziel sei nämlich, Europa in seinem Bogen zu berücksichtigen und von Innsbruck aus betrachtet sowohl nach Süden und Norden als auch nach Osten und Westen zu schauen. Nicht weniger wichtig sei auch die Tatsache, dass Anna Rottensteiner mit den am Projekt beteiligten Autor*innen schon früher zusammenarbeitete und wusste, dass sie nicht nur Interesse am Führen eines literarischen Dialogs haben würden, sondern auch über die Erfahrung der Grenzüberschreitung bzw. des Pendelns verfügen.
Von einer Idee bis zu…
Während der erwähnten Online-Diskussion wurde vor allem über Textphantasien gesprochen. Keine konkreten Informationen, nur Ideen. Auch wenn Vieles nicht erwähnt wurde, habe man das Gefühl des Vertrauens gespürt, so Anna Rottensteiner, die uns nicht viel verraten wollte, damit der Überraschungseffekt am Ende entsprechend groß sei. Was weiß man dann?
Sprache? Deutsch als Kommunikationsmittel, die Muttersprachen (Rumänisch, Italienisch, Französisch und bei Anna Rottensteiner auch Deutsch) als Sprachen der entstehenden Texte.
Genre? Essays und Erzählungen – es gehe darum, dass eine schöne Mischung entstehe, sodass man den Textcharakter am besten widerspiegeln könne.
Textlänge? 20000 bis 30000 Zeichen.
Thema? Körperliche Erfahrung(en) und Sinneswahrnehmung(en), die durch die Corona-Pandemie drastisch beeinflusst wurden. Man distanziere sich aber von der Grundvorstellung eines Körpers. Es entstehe nämlich ein Text, in dem eine Stadt in die Rolle eines Körpers eindringe. Nicht ohne Bedeutung seien ebenfalls Begegnungen innerhalb eines sehr stark begrenzten Raums.
Weitere Informationen? Da erscheint ein Lächeln auf Anna Rottensteiners Gesicht. Nach einer kurzen Stille erfahren wir allerdings, dass sie sich in ihrem Text stark auf die Sprache samt aller stilistischen Mittel, über die das Deutsche verfügt, konzentrieren möchte. Nach einer weiteren kurzen Stille kommt wieder das Lächeln. Uns bleibt nichts übrig, als auf die Texte zu warten. Gespannt dürfen wir auf jeden Fall sein, denn die Leidenschaft, mit der Anna Rottensteiner über diese Zusammenarbeit erzählt, verrät, dass es sich dabei definitiv um ein Herzensprojekt handelt.
Das Schwierigste?
Es gibt das Schwierige nicht. Alle steigen in das Projekt mit viel Freude und Motivation ein, was Anna Rottensteiner mehrmals betont.
Das Ziel?
Einen Dialog anzustoßen, denn man brauche heutzutage das dialogische Prinzip. Nur dank eines über die Grenzen hinweg entstehenden Austauschs können eigene Ideen bereichert werden. Zurzeit fehle definitiv die bereichernde Kommunikation mit anderen, weshalb man viel mehr Vernetzungsprojekte, wie z.B. die »Internationalen Literaturdialoge«, brauche. Die Literatur müsse sich von dem Mythos eines einsam schreibenden Genies distanzieren, so Anna Rottensteiner.
Das Motto?
»Literatur, glaube an dich!«