-
Franziska Füchsl © Julia Uplegger -
Yeongbin Lee © Jaewon Kim
»Das Wachsen der Nase wird überspringen, zum Glück.
Seid ganz unbesorgt, niemand wird zum Menschen!«
-Franziska Füchsl & Yeongbin Lee
›Wie wir lesen. Eccí eccí eccelenza‹ heißt das gemeinsame Projekt der Dichterin Franziska Füchsl und der bildenden Künstlerin und Geräuschesammlerin Yeongbin Lee, in welchem sie sich den Pinocchio »vorknöpfen«. Gemeinsam finden sie Übersetzungen und Figurationen, um seine Abenteuer wieder lesbar zu machen. Durch eine genaue Lektüre des italienischen Originaltexts und in intensivem Dialog miteinander stellen die beiden »sozusagen den Text zur Rede und ziehen an den subversiven Momenten seiner Poesie, die dem eindimensionalen moralischen Zwang der Geschichte sein Bein stellen« – etwa dem Galgenbaum oder dem Niesen, auf welches auch schon der Titel des Projekts anspielt. Dies sind die kleinsten gemeinsamen Nenner, auf welche sich die Geschichte zurückbrechen lässt; ihnen nähern Franziska Füchsl und Yeongbin Lee sich einerseits über die Sprache und andererseits durch die Visualisierung von Klängen. Der im Rahmen der ›Internationalen Literaturdialoge‹ 2022 entstehende künstlerische Dialog zwischen der Schriftstellerin und der Künstlerin, die sich während ihres Studiums an der Kunsthochschule Kiel kennengelernt haben, ist allerdings nur eine der ersten Etappen zu einem weit größeren Projekt, denn längerfristig soll aus ›Eccí eccí eccelenza‹ eine theatrale Performance mit eigenem Bühnenkonzept entstehen, das ›Scheittheater‹.
Wie können wir uns das ›Scheittheater‹ vorstellen? Was sind die Herausforderungen bei diesem Projekt, und wieso haben die beiden sich gerade den Pinocchio ausgesucht? Dies sind nur einige der Fragen, die wir Franziska Füchsl und Yeongbin Lee in unserem Gespräch gestellt haben.
NK: Wie ist die Idee zu Ihrem Projekt entstanden? Gab es schon vor der Ausschreibung der ›Internationalen Literaturdialoge‹ Pläne zu einer solchen Zusammenarbeit, oder hat die Ausschreibung hier die Initialzündung gegeben?
Franziska Füchsl / Yeongbin Lee: ›Wie wir lesen‹ braucht viel Zeit. Unsere Gespräche über die Geschichte, die Ideologien ihrer Auslegungen und philologisch und bildnerisch über bestimmte Textstellen haben vor ca. zwei Jahren begonnen. Ausschreibungen wie diese geben den Anstoß, das Vorhaben, das sich ja auch stetig verändert, zu präzisieren und zu verdichten.
NK: Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit? Auf welche Weise stehen Sie vor allem in Kontakt, wie findet der Austausch statt? Wie wichtig ist Ihnen beiden der dialogische Prozess – hat jede von Ihnen „ihren“ eigenen Kompetenzbereich, oder werden Entscheidungen sowohl was Text als auch was die Marionetten/Requisiten betrifft gemeinsam getroffen?
FF / YL: Wir versuchen, alle uns zugänglichen Kanäle vom digitalen Anstupsen über gemeinsame Server bis zu Zügen zu nutzen. Letztere sind nicht zu schlagen, denn wenn wir uns an einem Ort gegenüber sitzen, ähneln unsere Dialoge immer noch Verwechslungskomödien und sind reichhaltig an Missverständnissen. Der Witz, der daraus entspringt, schärft unsere Blicke und Ohren und bringt uns auf die Akzente, die wir setzen wollen. Yeongbin Lee drückt sich in ihren Arbeiten in verschiedenen Medien aus; Franziska Füchsls Metier ist die Sprache. Man ist gewöhnt, Requisite als anfassbare Gegenstände zu begreifen; es lässt sich aber auch sprachlich verstehen. Eine Requisite ist einfach etwas, das es braucht, um etwas darzustellen. Auch das Denken braucht Requisiten. Und warum nicht Modelle von Requisiten bauen?
NK: Wie sieht der künstlerische Dialog, der im Rahmen der ›Internationalen Literaturdialoge‹ entsteht, konkret aus? Welche Textsorte(n) und welche Medien beziehen Sie ein?
FF / YL: Über den italienischen Pinocchio gebeugt entstehen Texte und Kritzeleien von Franziska Füchsl und eine Sammlung an Skizzen, Modellen und Zerlegtem von Yeongbin Lee. Zum Beispiel drehten sich unsere letzten Gespräche um die Unterschiede zwischen Puppen, Marionetten und Hampelmännern, alles enthalten im italienischen Wort »burattino«. In was übersetzen die Hand, die Schnur, die Fäden die Kräfte? Bewegt sich die Puppe? Ist der Sprung des Hampelmanns eine Bewegung? Was ist das für eine Beziehung zwischen Hand und Hampelmann? Und wie verhält sich die Person, die die Fäden der Marionette spielt, zur Marionette? So überdenken wir Klischees der Hierarchie, Machtausübung und Abhängigkeit.
NK: Was ist das Ziel des künstlerischen Dialogs, dieser ersten Etappe zum ›Scheittheater‹?
FF / YL: Unsere Dialoge schicken uns zur Zeit noch auf jeweils eigene Reisen. Das ist gut, so bleibt der Dialog nicht nur international, sondern intermedial und überraschend. Für die erste Präsentation haben wir entschieden, die gesamten Lektürefunde auf einer Tafel aufzulegen. Das ist das, was dem Aufschlagen eines Buches am nächsten kommt. Wir gehen dann davon aus, dass diese Tafel unser Abbecedario für alles weitere ist. Dieses Tafel-Abbecedario bringen wir zum Erklingen und setzen es in Bewegung – das ›Scheittheater‹ modellhaft.
NK: Was macht das ›Scheittheater‹ aus, was ist das Besondere Ihres Bühnenkonzepts? Und wieso ist gerade das Theater die Form, für die Sie sich entschieden haben?
FF / YL: Die Idee des ›Scheittheaters‹ ist genau nicht der Versuch, die Form des Theaters zu erfüllen. Eine große Rolle spielt in unserer Auseinandersetzung das Zurücklesen der Geschichte, denn wir wollen ihr Ende nicht erfüllen. Wir wollen beim Burattino bleiben. Wenn wir die Geschichte zurücklesen, landen wir wieder beim Scheit. Dieses Scheit besitzt aber bereits eine Stimme, die frei im Raum schwirrt, die zwei Meister, zwei alte Kunten sogar in eine Rauferei treibt. Hier hat die Mechanik noch nicht Einzug in die Geschichte erhalten. Die Frage, wie, in welchem Medium wir das ›Scheittheater‹ umsetzen sollen, ist noch offen. Wird es Mechanik dazu brauchen? Eines ist klar, wir wollen weder ein Meister Kirsche noch Geppetto werden.
NK: Was fasziniert Sie beide an Pinocchio, wieso möchten Sie gerade seine Geschichte erzählen?
FF / YL: Niemand liest diese Geschichte, um endlich zum braven Buben zu gelangen. Wir haben beide festgestellt, dass uns wenig an Pinocchio liegt, ja noch weniger an ‚seiner‘ Geschichte. Es fasziniert vielmehr, welche Wege das Erzählen geht und zwar auf den unscheinbarsten Ebenen. Lautlich zum Beispiel: Nur im italienischen Original lässt sich entdecken, dass der Zusammenhang zwischen dem Niesen und dem Mitleid (es ist das Niesen, das zur Begnadigung Pinocchios und Arlecchinos führt) ein lautlicher ist. Über das Niesen Mangiafocos »etschi etschi« kommt Pinocchio zu der Schmeichelung »etschelenza«. Pinocchio niest also lautlich zurück und damit ist Mangiafoco geschlagen, niemand wird verbrannt.
Oder die Logik zum Beispiel: Sollen wir der Geschichte in der Logik der Handpuppe, in der Logik des Hampelmanns, in der Logik der Marionette folgen? Das bringt jeweils völlig andere Implikationen mit sich. Das Interessante an der Geschichte ist, dass sie selbst die Zersetzung des Klischees der Schöpfung und der Verwandtschaft schon in sich trägt, aber dafür braucht es beim Lesen alle Sinne und ein ernsthaftes Interesse für Details.
NK: Sie möchten, wie Sie in Ihrer Bewerbung für die Ausschreibung angegeben haben, »die Überlebensstrategien des Schelms aus einer ikonisch gewordenen Figur herausübersetzen« in die Wenigkeit Ihrer Bearbeitung. Wie nah planen Sie, inhaltlich beim Originaltext zu bleiben, was ist Ihnen in der Auseinandersetzung mit der Vorlage wichtig?
FF / YL: Ilse Aichinger schreibt in »Das Erzählen in dieser Zeit«: »Wenn wir es richtig nehmen, können wir, was gegen uns gerichtet scheint, wenden, wir können gerade vom Ende her und auf das Ende hin zu erzählen beginnen, und die Welt geht und wieder auf. Dann reden wir, wenn wir unter dem Galgen zu reden beginnen, vom Leben selbst.« Hier klingt die Kunst des Schelms an. Nicht Pinocchio ist ein Schlem, sondern die Art des Erzählens ist schelmisch und das versuchen wir zu erwidern.
Wir teilen den Originaltext in der Mitte, nachdem Pinocchio auf dem Baum aufgehängt wird: ein Modell eines Galgens bleibt hier als Bild stehen (oder ist das Scheit an den Baum zurück gehängt worden?). Hiernach kam es zu einer langen Publikationspause der im »Giornale per i Bambini« veröffentlichten Fortsetzungsgeschichte. (Man munkelt, Collodi wollte nicht mehr.) Dieses Galgenmodell (schließlich hängt Holz daran, kein Mensch) ist unser Ausgangspunkt und führt zu ganz anderen Wegen als die linear genommene Geschichte.
Wer weiß schon, was die Abenteuer des Pinocchio wirklich erzählen… Disney etwa? Wussten es die, die es übersetzten? (Wie übersetzt man denn »etcì etcì eccelenza«?) Der nacherzählbare Inhalt dieser Geschichte ist am Ende. Können wir das wenden?
Wir bleiben so nahe im Originaltext, dass man ihn nicht wiedererkennt. Und es ist sehr hilfreich dabei, auch andere zu lesen, zum Beispiel Ilse Aichinger, oder in Robert Musils Nachlass zu Lebzeiten. Literatur, die es sehr genau nimmt.
NK: Was sind die Herausforderungen bei diesem Projekt?
FF / YL: Herausfordernd ist sicher, dass wir uns vor der Erfüllung durch ein Produkt hüten. Es reicht, es gibt genug Pinocchio-Produkte. Die Vollendung der Kreation ist nicht unser Ziel, aber wie können wir andere an unserem Lesen teilhaben lassen, sie zum Anderslesen anstiften? Wir wissen noch nicht, oder sind uns uneins darüber, ob es einen Bau geben wird, oder ob wir bei den Modellen bleiben, beim Buch… oder eine Kolumne? Beim Schreiben wird noch nichts gebaut.
FF: Das Schreiben geht hier für mich eher detektivische Wege, Schreiben mit der Lupe. Rekonstruktion meint die Analyse der Zerlegtheit und kein neuerlicher Zusammenbau.
YL: Ich begegne dieser Herausforderung, indem ich sammle, aus- und einpacke, sortiere und wie auf einem Flohmarkt ausstelle. Später bräuchte es dafür nur einen Reisekoffer.
NK: Inwiefern unterscheidet sich das Projekt von Ihren anderen Arbeiten und (falls es sich unterscheidet) könnte es sein, dass es auf die ein oder andere Weise Ihr weiteres Schaffen beeinflussen wird?
FF: Ja. Jetzt versuche ich schon wieder das Lesen und Schreiben zu lernen.
YL: Normalerweise suche ich Antworten, diesmal habe ich Fragen gesucht. Normalerweise baue ich etwas auf, aber hier zerteile ich alles immer weiter. Dieser umgekehrte Arbeitsprozess bringt einen anderen Aspekt für meine nächste Forschung mit sich.
»Wie wir lesen. Etcì etcì eccelenza«, Projektvorstellung
Material Talk mit der Styrian Artist in Residence Yeongbin Lee
und Franziska Füchsl
24.11.2022
18:00
Atelier Schillerstraße
Schillerstraße 31, Graz
Weitere Informationen zu der Veranstaltung finden Sie hier.
