Österreich – Polen; Kärnten / Koroška – Opole / Oppeln; beinahe 800 Kilometer voneinander entfernt; zwei verschiedene Welten; zwei Frauen, die besser als sonst jemand verstehen, was Grenzen bedeuten; die erste – Schriftstellerin, die zweite – Germanistin; beide so unterschiedlich und gleichzeitig so ähnlich; zwei Geschichten; eine gemeinsame Reise in das – nur scheinbar – Bekannte.
GRENZ- UND SPRACHERFAHRUNG(EN)
»Seit der Kindheit in Kärnten, aufgewachsen zwischen den Sprachen Slowenisch und Deutsch, ist das Wort ›Grenze‹ stets ein Reizwort für mich.« Für Lydia Mischkulnigs Kooperationspartnerin Monika Wójcik-Bednarz aus Opole ebenfalls. Auch sie ist zwischen zwei Sprachen und zwei Kulturen aufgewachsen. Inspiriert von Joseph Roths Grenzerfahrung und Peter Handkes »Wunschloses Unglück«, möchten sie nun zusammen Grenzen ihrer Heimatorte erforschen, um der Frage nachzugehen, wie man in diesen Regionen mit der Deutschsprachigkeit umgeht und was tatsächlich als identifikationsstiftend gilt – nicht nur auf den ersten Blick, sondern was die Anrainer*innen tatsächlich fühlen. Ob zum Beispiel die Sprache – wie oft angenommen wird – der wichtigste Identifikationsfaktor ist, könne nicht eindeutig beantwortet werden. »Man ist zwar in einer Sprache sozialisiert, aber mit ein bisschen Glück lernt man eine oder mehrere Fremdsprachen, in denen man sich auch zu Hause fühlt, gleichzeitig aber bestimmt die Sprache soziale Beziehungen und Verhältnisse«, erwähnt Lydia Mischkulnig in unserem Gespräch, während Monika Wójcik-Bednarz darauf hinweist, dass man aufgrund der Multinationalität oft gezwungen wurde, sich für eine Nation, für eine Sprache entscheiden zu müssen, was praktisch unmöglich sei: Man war gleichzeitig mit zwei bzw. sogar drei Kulturen – in Oppeln mischen sich deutsche, schlesische und polnische Einflüsse – so eng verbunden, dass man nicht im Stande war, auf einen Teil der eigenen Identität zu verzichten.
BEGEGNUNG(EN)
Dadurch, dass der Austausch zwischen den einzelnen Gruppen und Minderheiten über einen langen Zeitraum hinweg repressiv erschwert wurde, sei es heutzutage so wichtig, dem zu begegnen, was im letzten Jahrhundert als ›verbotene Frucht‹ galt. Im Vordergrund stehe somit die Begegnung mit Menschen, mit ihrer Sprache, Kultur und Geschichte, die jetzt mit großem Respekt, aber gleichzeitig einer gewissen Distanz ausgegraben und ohne Last der Vergangenheit (nach)erzählt werde – die schlesische von Lydia Mischkulnig, die kärntnerische von Monika Wójcik-Bednarz. Auf der Suche nach der Antwort, in welchem Verhältnis die Minderheiten zu Majoritäten stehen, werde viel gereist und viel gesprochen, sodass man sich vom ersten Eindruck nicht beeindrucken lasse. Es werde eine sehr intensive und fordernde Zeit sein, »denn die Oberfläche sieht sehr unschuldig aus«, wie Lydia Mischkulnig anmerkt.
GEHEN, UM IN BEWEGUNG ZU SEIN
Gerade jetzt ergab sich die Möglichkeit, an dem Projekt zu arbeiten: durch die finanzielle Förderung auf der einen Seite, ohne welche die Kooperation nicht möglich wäre, und den Rückblick auf die Jahre 1920, 1921, an die im Rahmen des 100. Jahrestags der Volksabstimmung in Oberschlesien erinnert wird, auf der anderen. Es reiche jedoch nicht, sich die Geschichte anzuschauen, man müsse sie verstanden haben. Das sei hingegen nur dann möglich, wenn man sie spüre, wenn man an Orte komme, die selbst Geschichte seien. Man müsse sie durchwandern, um sich einfühlen und sich der Geschichte nähern zu können…
ENTFREMDUNG
Gleichzeitig müsse man sich aber sofort entfremden, denn die literarische Arbeit beginne, wenn die Gewissheit weg sei. Um schreiben zu können, müsse man sich also von der Geschichte distanzieren. Während des Schreibens gebe es keinen Platz mehr für Vorstellungen und Behauptungen, wie Lydia Mischkulnig mit großer Leidenschaft erzählt. Ist es machbar? Ja. Ist es einfach? Nein. Kann man voraussehen, wie genau das Ergebnis aussehen wird? Nicht wirklich. Es werden Texte entstehen, vielleicht werden sie auch übersetzt. Die Ungewissheit mache das Ganze jedoch viel spannender und reizvoller.
…
Gehen, Reisen, Erkunden, Neuinterpretieren, Zusammenkommen, Erzählen
6 Verben; der Ablauf des Projektes von Lydia Mischkulnig und Monika Wójcik-Bednarz; 6 Anfangsbuchstaben – GRENZE – ein Wort, das für sich selbst spricht…