wir atmen die Luft ein
die andere ausatmen
der Wind mischt
über alle Grenzen hinweg
aus: »Die Distanz der Ufer«, Limbus 2019
Atem
sei ein Thema, das sie schon lange interessiere, das sie in ihrem bisherigen Werk aber noch nicht so richtig formalisiert habe, erzählt uns Barbara Pumhösel im Gespräch. Zwar werde das Sujet schon in ihrem 2019 erschienen Langgedicht »Die Distanz der Ufer« und auch in einigen anderen unveröffentlichten Texten ange-schnitten, eingehend damit beschäftigen wollen hätte sie sich allerdings erst dieses Jahr im Rahmen einer Schreibwerkstätte für Kinder, welche aufgrund von Corona leider ausfallen musste. Nun wird sie im Rahmen der ›Internationalen Literaturdialoge‹ ein Projekt zu dieser Thematik umsetzen – gemeinsam mit dem italienischen Lyrik-Ensemble ›Compagnia delle poete‹ sowie der argentinischen Musikerin und Komponistin Pamela Monkobodzky.
Mehrsprachigkeit
2009 wurde die ›Compagnia delle poete‹ durch die Initiative der italofranzösischen Lyrikerin Mia Lecomte gegründet. Zu Beginn waren zwar auch Männer eingeladen, mittlerweile handelt es sich aber um ein reines Frauen-Ensemble, da es manchen der männlichen Mitglieder schwerer gefallen sei, sich selbst in der Art und Weise zurückzunehmen, wie es bei einem solchen Chor notwendig sei. Auf »Frauenthemen« reduzieren lassen wolle sich die ›Compagnia‹ jedoch keinesfalls. Das ist auch gar nicht notwendig, liegt doch der gemeinsame Nenner der Autorinnen nicht nur in ihrer Weiblichkeit, sondern vor allem auch in der Internationalität der Lyrikerinnen. Sie leben – wie Barbara Pumhösel, die vor einigen Jahren aus ihrer niederösterreichischen Heimat ins Arnotal übersiedelte – großteils in Italien, stammen aber aus unterschiedlichen Ländern, aus unterschiedlichen Lebenssituationen – häufig mit der gemeinsamen Arbeitssprache Italienisch als Zweit- oder Drittsprache.
Dementsprechend mehrsprachig sind die entstehenden Texte, die sowohl auf Italienisch, als auch in den Mutter- und weiteren Zweitsprachen der Mitglieder formuliert werden. Barbara Pumhösel erzählt uns etwa von ihrer Lyrikerinnenkollegin Barbara Serdakowski, die aufgrund ihres polnisch-kanadischen Hintergrunds in vier Sprachen schreibe, oder von Candelaria Romero, die neben Italienisch Spanisch und Schwedisch zur Verfügung habe. Auch sie selbst verfasse ihre Texte in den beiden Sprachen, die sie perfekt beherrsche, wobei es jeweils vom Lautgehalt des ersten Wortes abhänge, ob sie Deutsch oder Italienisch wähle.
Wichtig ist Barbara Pumhösel, dass diese Vielsprachigkeit sich auch im Projekt »ATEM« widerspiegle; entstehen solle dabei »eine lyrische Komposition, bei der die unterschiedlichen Akzente mitfließen«. Sowohl der Auftakt als auch das Ende der Lyrik-Performance werden auf Deutsch gehalten sein, dazwischen werden aber das Italienische sowie die Mutter- und Zweitsprachen der Kooperationspartnerinnen einfließen. Zusätzlich wird es eine deutsche Übersetzung des gesamten Textes geben, die bei der Video-Präsentation der Performance mitlaufen wird.
Intermedialität
Neben der durch die Internationalität ihrer Mitglieder bedingten Mehrsprachigkeit der Texte ist auch der Aspekt der Intermedialität für die ›Compagnia‹ von Bedeutung. Auf der Bühne werden die gesprochenen Verse auf performative Weise mit unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen verflochten, z.B. mit Musik oder Tanz. Allerdings habe es, wie Barbara Pumhösel ausführt, auch schon Auftritte gegeben, bei denen ganz neue intermediale Wege beschritten wurden – etwa die Performance »Novunque«, bei der sie – vorab angelernt durch den argentinischen Puppenspieler Alonso Coco Barraza – mithilfe alter Overheadprojektoren Schattenspiele mit ausgeschnittenen Schablonenfiguren aufgeführt haben, wobei jedes Mitglied der ›Compagnia‹ abwechselnd auf der Bühne vorgetragen sowie die Projektoren hinter der Leinwand bedient habe.
Auch das Thema Atem ist eines, das zur Intermedialität einlädt: Rhythmus und Stille verbinden das Atmen mit der Lyrik – so heißt es etwa, dass der von Dante in der »Divina Commedia« gewählte Elfsilbler (Endecasillabo) genau einen Atemzug lang sei –, aber auch mit der Musik. Insofern ist es kein Zufall, dass auch die Musikerin und Komponistin Pamela Monkobodzky, die sich in früheren Arbeiten schon intensiv mit der Thematik Stille beschäftigt hat, an dem Projekt beteiligt ist.
copione
Nach dem Prozess des Schreibens werden die verschiedenen lyrischen Texte der unterschiedlichen Autorinnen – zumeist von Mia Lecomte – zu einem Gemeinschaftstext verflochten – copione, wie es auf Italienisch heißt. Manchmal bleiben sehr schöne Texte draußen, weil sie thematisch nicht in die Komposition passen, damit müsse man sich bei einem Gemeinschaftsprojekt arrangieren können. Dafür sei das besonders Interessante an dieser Zusammenarbeit die Überraschung, was dabei schlussendlich herauskomme. Es sei wie eine Schatzsuche – man hoffe, dass etwas Spannendes entstehe, könne es aber vorher nie wissen. »Überraschung«, erklärt uns Barbara Pumhösel, »hat viel mit Lyrik zu tun. Ein Gedicht, bei dem nicht irgendwo eine kleine Überraschung versteckt ist, ist meistens kein gutes Gedicht. Irgendwann sollte einem der Mund offenbleiben.«
Auch bei diesem Projekt ist der Ausgang noch offen, die Texte sind noch in der Entstehungsphase. Als größte Gefahr erkennt die Autorin hierbei die Einfachheit der Thematik, die auch bei den Texten herauskommen solle. Das bedeute nämlich nicht, dass auch das Verfassen der Texte einfach sei, denn: »Meistens sind die Texte, die ganz flüssig sind, wo kein Wort zu viel steht, wo jedes Wort Gewicht hat, jene, die am schwersten zu schreiben sind.«
Die Tatsache, dass Atem ein so großes, allumfassendes Thema sei, das Mensch, Tier und Pflanzen verbinde, öffne den Zugang zu verschiedensten Ansätzen: Begonnen bei Düften und Synästhesien, über die mit dem Virus angereicherte Luft bis hin zu gesellschaftsrelevanten Fragestellungen, etwa nach der Privatisierung von Allgemeingut, dem Umgang mit Tierleid oder der ›Festung Europa‹ – »Atem verbindet alles. Luft kann nicht aufgehalten werden«, so Barbara Pumhösel. Ideen gebe es viele. Allerdings solle keine Aussage konstruiert werden, auch das sei eine gefährliche Sache:
»Da ist dann immer der erhobene Zeigefinger vorhanden. Wenn ein Text bzw. eine Komposition von verschiedenen Texten funktioniert und gut ist, dann muss sich die Aussage ergeben, und zwar in den Zuhörer*innen bzw. Leser*innen. Jedes Wort ist eine Tür, dahinter ist alles möglich, eine ganze Welt, die man betreten kann oder auch einfach nur hineinschauen.«
Weitere Einblicke in die Arbeit der ›Compagnia delle poete‹ sowie YouTube-Videos von Ausschnitten ehemaliger Performances sind auf www.compagniadellepoete.com zu finden.